Paolo Di Canio, Kapitän des traditionsreichen italienischen Fußballklubs Lazio Roma, ist im Herbst letzten Jahres europaweit in die Schlagzeilen geraten, nachdem er wiederholt vor seinen Fans mit dem "römischen Gruß" – bei uns besser bekannt als Hitler-Gruß – posiert hatte. Weniger bekannt ist, dass es in Italien auch politisch ganz anders denkende Spieler gibt. Einer davon ist Cristiano Lucarelli, Torschützenkönig in Italiens oberster Spielklasse in der Saison 2004/05 und überzeugter Kommunist.
Lazio Rom ist für Italiens FaschistInnen ein traditioneller Verein, Di Canios Pose also keineswegs ein Ausrutscher. Die 1900 entstandene Società Sportiva Lazio hatte von Anfang an eine bürgerlich-konservative, später dann eindeutig faschistische Gefolgschaft. FaschistInnenführer Benito Mussolini schrieb sich bei Lazio als Mitglied ein, seine Parteibonzen und seine Söhne taten es ihm nach. Lazios größter Fanklub, die Irriducibili (zu Deutsch: die Unbeugsamen, Erbitterten, Grimmigen) hat 7000 Mitglieder und ein klar rechtsextremes Profil. Vor einigen Jahren zogen die Irriducibili in einem Stadtderby gegen AS Roma ein Transparent mit der Aufschrift "Auschwitz ist eure Heimat, die Öfen sind eure Häuser" hoch. Damals standen die Fanklubs von AS Roma noch links, doch mittlerweile ist auch dort "die Kurve" rechtsextrem dominiert.
"Anständiger Typ"
Paolo Di Canio war früher selbst ein Irriducibile. Di Canio ist 37, er ist im vorigen Sommer nach vielen Jahren in England zurückgekehrt, um die Karriere bei seinem alten Klub ausklingen zu lassen. Als er im Jänner 2005 beim Derby gegen den AS Roma ein Tor schoss, zog er sich anschließend das Trikot über den Kopf, damit alle das T-Shirt darunter sehen konnten, auf dem stand: "Es gibt nur zwei Möglichkeiten, das Schlachtfeld zu verlassen. Entweder mit dem Kopf des Feindes oder ohne den eigenen." Als er seine jubelnden Fans erreicht hatte, riss Di Canio den rechten Arm hoch. In Österreich heißt das Hitler-Gruß. Für Lazios Präsidenten Claudio Lotito ist das alles kein Problem: "Das war kein Hitlergruß". Am selben Nachmittag hob Di Canio noch einmal den rechten Arm, bei einer Pressekonferenz. "Der Gruß kommt aus dem alten Rom. Und auf das alte Rom bin ich stolz."
Auf dem rechten Arm trägt Di Canio die Tätowierung "Dux". Das ist lateinisch für Führer, italienisch wurde Duce daraus. In seinen Memoiren schreibt Di Canio, er hätte ein dutzend Biographien des FaschistInnen-Führers Mussolini zu Hause: "Ich denke, dass er eine zutiefst unverstandene Persönlichkeit war. Ich bin fasziniert von Mussolini." Alessandra Mussolini, Enkelin des Duce und eine der Führerinnen der italienischen FaschistInnen, bedankte sich artig: "Wie schön, dieser Gruß. Das hat mich sehr bewegt." Und auch Italiens Ministerpräsident Berlusconi findet das alles nicht so schlimm: "Ich kenne Di Canio sehr gut, er ist ein anständiger Typ. Er ist nur ein wenig extrovertiert." Beim nächsten Auswärtsspiel in Florenz taten es die Irriducibili dann ihrem Idol nach. "Der saluto romano spiegelt unsere Ideen wieder", erklärte Fabrizio Toffolo, Chef der Irriducibili. "Wir gehen schließlich nicht einfach nur ins Stadion, um ein Fußballspiel zu sehen. Wir wollen dort auch unseren politischen Standpunkt vertreten."
Im Dezember 2005, als Lazio in der kommunistischen Hochburg Livorno spielte, zeigte Di Canio erneut seinen Fans den faschistischen Gruß, eine Woche später gegen Juventus Turin wiederholte sich das Schauspiel. Doch im roten Livorno schien ihm das kein Glück zu bringen, Lazio verlor 1:2.
Livorno verpflichtet
Für Livorno spielt auch Christiano Lucarelli, italienischer Torschützenkönig in der vergangenen Saison. Wer Spieler von Livorno ist, stellt sich in eine andere Tradition: Livorno ist eine rote Hafenstadt, in Livorno wurde der PCI, die Kommunistische Partei Italiens, gegründet. Lucarelli pflegt ein enges Verhältnis zu seinen Fans. Er identifiziert sich mit den kommunistischen Ultras der Brigate Autonome Livornesi, deren Gründungsjahr 1999 er als Trikotnummer (99) trägt. Die Fans von Livorno spannen schon mal über die ganze Tribüne ein riesiges Hammer-und-Sichel-Transparent, um ihre Meinung zu verdeutlichen. Der Wermutstropfen: die meisten Fans sind überzeugte StalinistInnen. Damit kann sich Christiano Lucarelli allerdings nicht identifizieren, er verehrt unter anderem Che Guevara als "Synonym für Freiheit und proletarische Revolution". Nun würde die Morgenrot-Redaktion Christiano in dieser Frage eher Lenin und Trotzki ans Herz legen, doch im Bekenntnis zur proletarischen Revolution werden wir uns finden.
Die Faust geballt
Bis vor kurzem ballte Christiano nach jedem seiner Tore die Faust zum roten Gruß. Der italienische Verband belegte das übrigens mit dreimal mehr Strafe als die faschistische Pose von Di Canio. Seit einiger Zeit verzichtet Christiano allerdings auf den roten Gruß, er möchte nicht mit Di Canio verglichen werden. Doch dies ist keine Abkehr von seinen Ideen.Er bekennt: "Ich werde immer linker". Und als Fans von Livorno verhaftet wurden, weil sie bei einem Spiel gegen Lazio in Auseinandersetzungen geraten waren, bezahlte Christiano aus eigener Tasche die Heimreise.
Christiano Lucarellis Vater ist Hafenarbeiter. Und Christiano weiß, wo er herkommt: In Turin hatte er sich selbst das Gehalt gekürzt, als die Tore ausblieben. Es gebe zu viel Geld im Fußball, meinte er: "Die Werftarbeiter, die ins Stadion kommen und sich von uns hoch bezahlten Profis Zerstreuung erwarten, haben Besseres verdient."
Viele Linke betrachten Fußball ein wenig abfällig. 22 Verrückte laufen einem Ball nach. Das mag stimmen. Doch Fußball ist gleichzeitig auch ein Spiegel der Gesellschaft, nicht mehr und nicht weniger. Es gibt zahlreiche "rechte" Fans, gleichzeitig stammen aber auch viele Vereine aus der ArbeiterInnenbewegung, ihre Geschichte lässt sich in ihren Vereinsnamen oder ihren Farben ablesen. Nicht umsonst heißt etwa Steyr´s Fußballklub in alter ArbeiterInnentradition "Vorwärts" und trägt Rot als Farbe des Vereins, ebenso wie die "Roten Teufel aus Favoriten", der Wiener FavAC. Manchmal bestimmen oder verändern auch die Fans das Erscheinungsbild des Vereins, so die antifaschistischen Fans des Wiener Sportclubs oder die linke Kurve von Wacker Tirol in Österreichs höchster Spielklasse. Viele junge Fans werden so politisiert und lernen, dass Fußball und Faschismus eben nicht das Gleiche ist. Und wenn dann das nächste Mal Livorno gegen Lazio spielt, werden diese jungen Fans wissen, wem sie die Daumen drücken …