500.000 Arbeiter/innen, Angestellte und Jugendliche haben sich am 6. Mai 2003 in der einen oder anderen Form an Aktionen, Kundgebungen, Demonstrationen und Betriebsversammlungen der österreichischen Gewerkschaften beteiligt. Erstmals seit 50 Jahren sah sich die Gewerkschaftsbürokratie gezwungen, das lange verpönte Instrument des Streiks aus der untersten Schublade zu holen. Angst und wachsender Unmut in den Betrieben wegen des geplanten Pensionsraubpakets der schwarzblauen Kapitalist/inn/enregierung einerseits, sehr massive Eigeninteressen der ÖGB-Bürokratie andererseits waren die Ursachen für diesen in der Öffentlichkeit als "historisch" empfundenen Schwenk weg vom fast schon sprichwörtlichen Kuschelkurs gegenüber Kapital und Regierung. Die Stimmung bei den Protestmärschen und Betriebsversammlungen war von einem in diesem Umfang in Österreich bisher selten gesehenen Geist der Solidarität geprägt. Aber: Wirklich weh getan haben die Einzelaktionen am 6. Mai der Regierung nicht. Damit das Sozialabbaupaket der Regierung verhindert werden kann, sind ganz andere, nämlich scharfe, Waffen nötig.
Nicht Wahnsinn, sondern Methode
Wenn in der Öffentlichkeit mit Recht die "Grausamkeiten" von FPÖVP angeprangert werden, ist das nur eine Seite der Medaille. Tatsächlich hat seit den 50er Jahren noch nie eine Regierung ihre Mehrheit so rücksichtslos eingesetzt, um im Eilzugstempo derartig massive Einschnitte in die sozialen Errungenschaften der arbeitenden Bevölkerung, der Frauen, der Jugend und der Migrant/inn/en vorzunehmen.
Aber diese Grausamkeiten sind nicht der persönlichen Bosheit des schmallippigen kleinen Mannes am Ballhausplatz entsprungen – sie sind nahtloser Bestandteil einer neoliberalen Flut, die seit Jahren über Europa rollt. Weder das Pensionsraubpaket noch die Verschärfungen der Bestimmungen für Arbeitslose, die Kürzungen bei der Notstandshilfe, auch nicht die Selbstbehalte im Gesundheitswesen oder die voranschreitende Zersetzung des Bildungswesens sind österreichische Besonderheiten.
Vorreiterin dieses Kurses war in den 80er Jahren Großbritanniens "Eiserne Lady" Margaret Thatcher, die mit einem radikalen Privatisierungskurs, Kürzungen beim Arbeitslosengeld und im staatlichen Gesundheitswesen und ähnlichen Maßnahmen den europäischen Kapitalist/inn/en vorzeigte, wie's gemacht wird: Generalstabsmäßig rüstete sie zur Konfrontation mit den Gewerkschaften, deren Einfluss sie Schritt für Schritt zurückdrängte und schließlich im einjährigen Bergarbeiterstreik 1984/85 brach.
Hintergrund dieser Angriffe war die krisenhafte Entwicklung des weltweiten imperialistischen Systems. Die Möglichkeit, durch materielle Zugeständnisse an Sektoren der Arbeiter/innen/klasse deren Wohlverhalten zu erkaufen, war geringer geworden. Der Thatcherismus blieb daher kein englisches Phänomen. Und er blieb Beileibe nicht auf konservative Regierungen beschränkt.
Die europäischen sozialdemokratischen Parteien, die in den meisten europäischen Ländern von den Arbeiter/inne/n und Angestellten bei aller Kritik immer noch als "ihre" Parteien angesehen werden, haben im Lauf ihrer Geschichte ihre Natur gewechselt. Als Klassenparteien des Proletariats gegründet, haben sie sich an ihre jeweiligen nationalen Kapitalist/inn/en angepasst und waren schon in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts nur noch "Krankenpfleger am Bett des Kapitalismus“. Ihre Verankerung in der Arbeiter/innen/klasse, vor allem über ihren Einfluss in den Gewerkschaften, macht sie für die Bourgeoisie wertvoll – mit sozialen Phrasen geben sie allen kapitalistischen Maßnahmen eine "linke Flankendeckung" oder setzen sie als Regierungsparteien selbst durch. Sie sind bürgerliche Arbeiter/innen/parteien – der verlängerte Arm der Bourgeoisie in der Arbeiter/innen/klasse.
In Österreich hat die SPÖ seit den 80er Jahren die neoliberale Politik führend umgesetzt: von der Zerschlagung der Verstaatlichten in den 80er Jahren bis zu den Sparpaketen Mitte der 90er. Zwischen 1970 und 1995 sind in Österreich – unter sozialdemokratischer Kanzlerschaft – die Einkommen aus unselbständiger Arbeit (inklusive Managergehältern also!) um 200% gestiegen, die aus Vermögen um 1.500%.
In Deutschland hat Rotgrün unter Kanzler Gerhard Schröder zum Generalangriff auf die Arbeiter/innen/klasse geblasen: Großzügig wurden Großkonzerne von der Grundsteuer befreit und bei der arbeitenden Bevölkerung die Steuerschraube immer fester gedreht. Während Banken, Automobilkonzerne und die Pharmaindustrie im Namen der "Standortsicherung" auf Händen getragen werden, müssen sich Arbeitslose, die den Weg der Rationalisierer pflastern, vom Kanzlerberater und VW-Personalmanager Hartz mit zynischen Angeboten wie der Selbstvermarktung als "Ich-AG" abspeisen lassen. Auch die bei uns geplante Zerschlagung der "solidarischen Altersvorsorge", die in Wirklichkeit immer aus den Beiträgen der Lohnabhängigen und nie aus den Gewinnen der Unternehmer/innen oder anderer Einkommen gespeist wurde und die Förderung von Fonds und Privatversicherungen im Namen der "privaten Altersvorsorge" ist in Deutschland kein Thema mehr. Die nach dem sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokraten benannte "Riesterrente" ist dort schon, zur Freude der Versicherungen, Wirklichkeit geworden. (Einer der Vordenker der Zerschlagung des staatlichen Pensionssystems, Professor Bert Rürup, ist nebenbei gesagt sowohl Berater von Schüssel und Schröder!).
In England ist "New Labour", also die sozialdemokratische Regierung des Kriegstreibers Tony Blair, ohne Skrupel in die Fußstapfen der Eisernen Lady getreten. Die Reduktion des Arbeitslosengeldes und Bestimmungen über die Arbeitspflicht führen dem britischen Kapital massenhaft billige Arbeitskräfte zu, während die Armut steigt. Nach Berechnungen der Hilfsorganisation "Help the Aged" (Helft den Älteren) sind im Winter 2001/2002 in Großbritannien 22.700 Menschen über 65 mittelbar oder unmittelbar deswegen gestorben, weil sie sich kein Heizmaterial mehr leisten konnten oder obdachlos waren. Und nun setzt Blair auch noch zum Schlag gegen die ohnehin ausgehöhlten Reste des staatlichen Gesundheitssystems an – massenhafte Privatisierungen werden die ärztliche Versorgung noch deutlicher zum Privileg der Begüterten machen.
Auch in Frankreich waren es sozialdemokratische Regierungen – unter dem Namen "Gauche Plurielle" ("Pluralistische Linke") gemeinsam mit Ministern der „Kommunistischen“ Partei und der Grünen! – , die traditionelle Arbeitsverhältnisse aushöhlten und neue Formen ungesicherter Arbeit (vor allem für Jugendliche) schufen, die massiv die Zerschlagung des staatlichen Wirtschaftssektors vorantrieben und damit kapitalistischen Rosinenpickern um den Preis stetig steigender Arbeitslosigkeit profitable Industrien zum Fraße vorwarfen.
Dass heute die bürgerliche Regierung unter Jean-Pierre Raffarin eine Pensionsreform durchpeitschen möchte, die stark an das schwarz-blaue Pensionspaket gemahnt, ist also kein Zufall, sondern Folge einer wirtschaftspolitischen Orientierung, die europaweit durchgezogen werden soll. (Siehe dazu auch den Kasten über Frankreich)
Schüssel mischt die Karten neu
Dass Schüssel seinen Wahlsieg vom November zu einer raschen und schmerzhaften Attacke gegen die Arbeiter/innen nutzen würde, war klar. Der Sondierungstango mit SPÖ und Grünen, der schließlich doch zur Neuauflage von FPÖVP führte, konnte ihn in diesen Plänen nur bestärken: Beide Oppositionsparteien wären fast bis zur Selbstaufgabe bereit gewesen, in eine Koalition mit der ÖVP zu gehen. Mehr an Bestätigung, wie knieweich die im Wahlkampf zum Schreckgespenst hochstilisierte "rot-grüne-Gefahr" wirklich ist, war nicht mehr notwendig. Gestützt auf eine parlamentarische Mehrheit und eine auf Kleinparteiniveau zurechtgestutzte FPÖ konnte sich Schüssel also ans Werk machen.
Sein Regierungsprogramm musste natürlich auch in der eigenen Partei einige Aufregung auslösen: Von den geplanten Privatisierungen werden in erster Linie – auf Grund des enormen Kapitalbedarfs, um sich die besten Teile der österreichischen (Teil)Verstaatlichten unter den Nagel reißen zu können – Großkonzerne profitieren; auch bei den steuerlichen Entlastungen für die Wirtschaft wird ein wesentlicher Teil der ÖVP-Klientel, nämlich die Klein- und Mittelunternehmer/innen (KMU), durch die Finger schauen, während die Entlastungen bei den "Lohnnebenkosten" in erster Linie für Großbetriebe attraktiv sind. Auch "greißlerfreundliche" Maßnahmen wie die Liberalisierung der Ladenschlusszeiten werden für die KMU zum Bumerang: Während Handelsketten und Diskonter boomen, werfen immer mehr Nahversorger das Handtuch und wissen, dass sie auch um den Preis einer noch höheren Ausbeutung ihres eigenen schlechtbezahlten Verkaufspersonals oder der gesteigerten Selbstausbeutung gegen den Einkaufstempel auf der "Grünen Wiese" kaum eine Überlebenschance haben.
Kein Wunder, dass sich im Wirtschaftsflügel der Volkspartei die Kluft zwischen traditioneller Klientel und Vertreter/inne/n des Großkapitals sichtbar vergrößert. Kein Wunder auch, dass Schüssel in Programmpunkten, die ihm wirklich am neoliberalen Herzen liegen, höchstens zu Scheinzugeständnissen an den sozialpartnerschaftlich orientierten Flügel um WKÖ-Präsident Chrisoph Leitl bereit ist. Denn die mächtige und kapitalkräftige Fraktion, die hinter der Industriellenvereinigung steht und der Träger des neoliberalen Umbaus des österreichischen Kapitalismus ist, sieht in der behäbigen Sozialpartnermentalität der Wirtschaftskammer eher einen Bremsklotz.
Aber auch von anderer Seite kamen in dieser Vehemenz ungewohnte Querschüsse aus des Kanzlers eigenen Reihen: Die Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG) und ihr Vorsitzender Fritz Neugebauer trugen den Streikbeschluss des ÖGB-Vorstandes vom 24. April mit. Vor allem die GATS-konforme (General Agreement on Trade in Services – Vertrag der Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation WTO über die Liberalisierung des Dienstleistungssektors) Bildungspolitik von FPÖVP hat die FCG-Hochburg GÖD (Gewerkschaft Öffentlicher Dienst) in einer ihrer Bastionen – bei den Lehrer/inne/n nämlich – schwer ins Wanken gebracht. Stundenkürzungen, höhere Klassenschülerzahlen, ein rigider Sparkurs, der vor allem Junglehrer/inne/n jede Perspektive raubt, hat diese Berufsgruppe in den letzten Jahren zu einer der widerständischsten gegen die Regierungspläne gemacht. Dort, wo die ÖVP auf Grund historischer Sonderentwicklungen im ÖGB und den staatlichen Arbeiterkammern dominiert – also Vorarlberg und Tirol – , stießen die Regierungspläne in einem elementaren Klassenreflex auch bei dortigen "christlichsozialen Arbeitnehmervertretern" auf Protest.
Es folgten jene kosmetische "Nachbesserungen", die von Haus aus eingeplant waren, um die freiheitlichen Koalitionspartner/innen vor allzu massiven Anpöbelungen aus dem Bärental zu bewahren.
ÖGB: Tiger oder fetter Hauskater?
Nachdem die ersten Grundzüge des Pensionsraubpakets (von den Koalitionären zynisch "Pensionssicherungsreform" genannt) auf dem Tisch lagen und SPÖ und Grünen nichts dazu einfiel, aber erste Medienberichte und Rechenexempel klar machten, dass hier ein massiver Angriff auf den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung ins Haus steht, wuchsen bei Arbeiter/inne/n, Angestellten, Frauen und Jugendlichen mit Recht Angst und Empörung über diesen brutalen Plünderungsfeldzug, der hunderttausende Menschen in die Armut stürzen wird, wenn er nicht verhindert werden kann.
Aus mehreren Gründen nahm sich nun der ÖGB dieser Frage an: Vor allem über die gewerkschaftlich organisierten Betriebsrät/inn/e/n spürte die Gewerkschaftsbürokratie, dass die Unzufriedenheit zunehmend an Breite gewann. Zugleich aber bedeutete die Vorgangsweise der Regierung einen direkten Angriff auf die bisherige Rolle der Gewerkschaften im Gefüge der Sozialpartnerschaft.
Nach 1945 hatten sich Sozialdemokratie und Gewerkschaften voll in den Dienst des kapitalistischen Wiederaufbaus gestellt. Zwar wurde am Papier die Existenz von Klassen anerkannt – in der Praxis aber setzte sich die Ideologie der Sozialpartnerschaft durch: Arbeiter/innen und Kapitalist/inn/en seien gleichberechtigte Partner, die gemeinsam für das Wohl der Wirtschaft verantwortlich seien. Wären die Arbeiter/innen etwa bei Lohnforderungen maßvoll, würden sie damit das wirtschaftliche Gesamtinteresse berücksichtigen und von den Kapitalist/inn/en freiwillig den ihnen zustehenden Anteil am Kuchen bekommen. An die Stelle des Klassenkampfs, den viele Arbeiter/innen und Angestellte noch aus der Zeit der Ersten Republik kannten, trat nun der Konsens – die institutionalisierte Packelei mit den "Arbeitgeber/inne/n". Diese Ideologie wurde institutionalisiert – in parlamentarischen Beiräten, der Paritätischen Kommission, in Einrichtungen wie dem Verein für Konsumenteninformation oder den Sozialversicherungsträgern waren Gewerkschaftsvertreter/innen seit den 50er Jahren bemüht, eine "vernünftige", d.h. eine der Kapitalinteressen dienende, Sozialpolitik zu machen.
Die Oktoberstreiks 1950 gegen das sogenannte Vierte Lohn-Preis-Abkommen, das massive Preiserhöhungen bei Lebensmitteln und Heizmaterial mit sich gebracht hätte, und gegen den Willen von SPÖ und ÖGB losbrachen, führten zur jahrzehntelangen Verteufelung der Waffe "Streik" als eines "kommunistischen" Instruments, das der "österreichischen Seele" fremd sei. Die häufig wiedergekäute Argumentation, dass es den österreichischen Arbeiter/inne/n ohne Streiks besser ginge als den italienischen oder französischen, die "dauernd streiken", ist übrigens ausgemachter Blödsinn (was man z. B. am heiß umkämpften Kündigungsschutz der italienischen Arbeiter/innen oder der weitgehenderen Kontrolle der französischen Werktätigen über die Sozialversicherungseinrichtungen ablesen kann).
Die Integration der Gewerkschaften in den bürgerlichen Staat stellt jedoch für den Apparat selbst eine zweischneidige Sache dar: Um als Sozialpartner ernst genommen zu werden (und damit diverse Posten und Pöstchen ergattern zu können), muss man beweisen, dass man tatsächlich in kritischen Situationen im Stande ist, durch seine Kontrolle über die Mitglieder eventuelle spontane Unruhe in „gesittete“ Bahnen zu leiten; gleichzeitig aber darf man den Massen ja kein Vertrauen in ihre eigene Kraft als Klasse einimpfen, um von ihnen nicht bei Seite geschoben zu werden. Bis zum Jahr 2000, also in den Jahrzehnten mit sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung, ist der ÖGB-Bürokratie dieser Spagat recht gut gelungen. Ritualisierte Proteste, manchmal gar Streikdrohungen bei Kollektivvertragsverhandlungen – und danach die Präsentation "hervorragender Verhandlungsergebnisse, die man dem Sozialpartner in nächtelangen Gesprächen abgerungen" hatte – das war üblicher Bestandteil des großen sozialpartnerschaftlichen Spiels.
Mit Schwarz-Blau an der Macht hat sich das geändert: Für eine rasche Durchsetzung ihrer neoliberalen Politik sind Teile der österreichischen Bourgeoisie durchaus bereit, von Pseudopartnerschaft zum offenen Angriff überzugehen. Während der ersten Regierung Schüssel und der ersten Angriffswelle auf die Sozialleistungen beschränkte sich die Reaktion der Gewerkschaften im Jahr 2001 auf symbolische Stunden"streiks" und eine Urabstimmung, die den Anschein von Demokratie im ÖGB erwecken sollte, in Wahrheit aber von oben nach unten bürokratisch durchorganisiert war und nicht umsonst eine Frage enthielt, die ein offenes Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft bedeutete. Die Großdemonstration vom 5. Juli 2001 in Reaktion auf die Angriffe von FPÖVP auf die Sozialversicherungen sollte diese Attacken nicht stoppen, sondern nur den Weg für neue Kompromisse im Rahmen einer "Sozialpartnerschaft neu" frei machen – die Urabstimmung und ihr Ergebnis verschwanden sang- und klanglos in irgendeiner bürokratischen Schublade.
Hinter den ÖGB-Protesten stecken sehr vielschichtige Gründe. Neben dem erwähnten Druck der unzufriedenen Basis muss er nach zwei Seiten hin – gegenüber der Bourgeoisie und gegenüber den Arbeiter/inne/n – seine Existenzberechtigung beweisen. Wie beschränkt der Ansatz der jetzigen Bewegung war, zeigt der Streikbeschluss des ÖGB-Bundesvorstands vom 24. April:
"Der Bundesvorstand des ÖGB bekräftigt seine Bereitschaft, gemeinsam mit den Arbeitgebern eine umfassende Reform zur mittel- und langfristigen Sicherung der Pensionen in einem harmonisierten Umlagesystem für alle Bevölkerungsgruppen und unter Beachtung des Vertrauensschutzes bis 30. September 2003 zu erstellen. Damit soll auch der soziale Friede in unserem Land erhalten werden. "
Generalstreik als einzige Antwort
Der Aktionstag am 6. Mai hat eines gezeigt: Der ÖGB verfügt nach wie vor über eine beachtliche Mobilisierungskraft – und die Arbeiter/innen und Angestellten sind nun auch bereit, für ihre Anliegen auf die Straße zu gehen, zu demonstrieren, an Betriebsversammlungen teilzunehmen, zu streiken.
Aber Kompromisse der Gewerkschaftsbürokratie oder Einschüchterungen könnten diesen neuen Elan auch wieder brechen. Beide Mittel werden bereits eingesetzt: Der Bundespräsident als "oberster Schiedsrichter der Nation" drängt auf eine Sozialpartnerlösung; die Regierung droht über ihren Staatssekretär Kukacka den Eisenbahner/inne/n mit Klagen wegen Geschäftsstörung (schon mit Blick auf die am 7. Mai im Parlament angekündigte Zerschlagung der ÖBB); der Vorarlberger Zeitungsverleger Russ möchte den ÖGB wegen des Drucker/innen/streiks anzeigen.
Als erster Schritt war der 6. Mai gut und wichtig – zugleich zeigt er die Grenzen der offiziellen gewerkschaftlichen Kampfbereitschaft auf. Dieser "Streik" hat niemandem – und schon gar nicht der Regierung – wirklich weh getan. Der Kampf gegen den Sozialabbau ist zu wichtig, um ihn der Gewerkschaftsbürokratie zu überlassen.
Der richtige Schritt wäre jetzt die Organisierung von Kampf- und Streikkomitees in den Betrieben durch die Arbeiter/innen, Angestellten und Lehrlinge selbst – Komitees, die demokratisch gewählt, rechenschaftspflichtig und auch jederzeit wieder abwählbar sein müssten, um in jeder Situation der Stimmung der Kolleg/inn/en wirklich Rechnung zu tragen.
Wenn wir diesen Kampf gewinnen wollen, darf es keine Spaltung geben – weder zwischen Betrieben, noch in- und ausländischen Kolleg/inn/en, weder zwischen männlichen und weiblichen, noch zwischen alten und jungen Arbeiter/inne/n. Wichtig wäre die Verbindung dieser Komitees untereinander – hin zu einem zentralen Streikkomitee!
Es wäre wichtig, dass die Arbeiter/innen, die durch die zurückzerrende Haltung der Gewerkschaftsführung und der SPÖ keinerlei Klassenkampferfahrung sammeln konnten, ihre Kraft wieder kennen lernen. Aber dezentrale Aktionen werden die Regierung und die hinter ihr stehende Bourgeoisie nicht zum Einlenken bewegen. Das kann nur der Generalstreik – die Lahmlegung der Produktion, des Handels, des öffentlichen Dienstes zum gleichen Zeitpunkt, in einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Damit der Generalstreik siegen kann, muss er unbefristet sein – er muss andauern, bis die Regierungspläne vom Tisch sind.
Wenn die Regierung dabei mit fällt, wäre das immerhin eine Teilniederlage für die Kapitalist/innen/klasse. Dabei aber auf eine sozialdemokratisch geführte Regierung zu hoffen, wäre fatal, wie wir in Deutschland, Großbritannien und Frankreich gesehen haben. Sozialdemokratischer oder grüner Neoliberalismus kann nicht unser Ziel sein. Eine Regierung, die wirklich die Interessen der breiten Massen der Werktätigen vertreten würde, kann nur aus dem Klassenkampf selbst heraus entstehen. Um die kapitalistischen Attacken auf die Lohnabhängigen zu stoppen, wäre eine Regierung der Arbeiter/innen/klasse selbst notwendig, die sich auf selbstorganisierte Kampforgane (Räte, Milizen) stützt, die „Sozialpartnerschaft“ grundsätzlich aufkündigt und das kapitalistische System in Frage stellt. Dafür fehlen aber heute alle Voraussetzungen. Deswegen ist es heute notwendig, unsere Interessen gegen jede bürgerliche Regierung zu verteidigen, egal welche Parteien darin vertreten sind.
Wenn im ÖGB Pläne für einen zweistündigen Generalstreik gewälzt werden, dann ist das die Vorbereitung der Niederlage. Diese Art von "Generalstreik" kennen wir aus anderen Ländern – sie ist normalerweise der letzte "kämpferische" Schritt vor einem faulen Kompromiss, bei dem letztlich die Arbeiter/innen/interessen auf der Strecke bleiben.
Was ist die Gewerkschaft? Sie ist nicht Fritz Verzetnitsch, Rudolf Nürnberger und Fritz Neugebauer – auch wenn sich die Gewerkschaftsbürokraten so aufführen, als wäre der ÖGB ihr privater Schrebergarten. Die Gewerkschaften sind die unterste, elementarste Form der Interessensvertretung der Arbeiter/innen und Angestellten. Was haben wir im ÖGB zur Zeit zu reden? So gut wie nichts! Bürokratisch organisierte Kongresse, von oben einberufene Konferenzen lassen nur jene zu Wort kommen, die sich der Führung angepasst haben. Damit der ÖGB in der Auseinandersetzung mit den Kapitalist/inn/en wirklich zu unserem Kampfinstrument wird, müssen wir die Bürokrat/inn/en vertreiben – und das geht nur, wenn wir uns die Demokratie in den Gewerkschaften erkämpfen, damit die Basis wirklich die Politik bestimmen und kontrollieren kann. Um in diese Richtung die ersten Schritte zu gehen, wäre der Aufbau einer gewerkschaftlichen, klassenkämpferischen Basisbewegung mit all jenen Kolleg/inn/en notwendig, die heute schon für klassenkämpferische Gewerkschaften eintreten.
In Österreich ist der Weg zur Schaffung eines kämpferischen ÖGB, einer selbstorganisierten Streikbewegung bis hin zum unbefristeten Generalstreik und der Bruch mit der kapitalistischen Logik nach Jahrzehnten Sozialpartnerschaft und Passivität natürlich schwierig – gerade weil sozialdemokratische Reformist/inn/en die Arbeiter/innen/bewegung dominieren. eine echte Änderung der Situation der Lohnabhängigen ist nur möglich, wenn diese Dominanz gebrochen wird. Deshalb ist der Aufbau einer revolutionären Arbeiter/innen/partei heute die zentrale Aufgabe.