Der 209-er ist endlich tot – das Ende der Diskriminierung?

Im Juni dieses Jahres hob der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) endlich den menschenrechtswidrigen Paragraphen 209 auf und kam damit einer jahrzehntelangen Forderung diverser Homosexuellenvereinigungen nach.

Anlass dafür war die Weigerung eines Innsbrucker Richters, einen Mann nach dem §209 zu verurteilen. Die Bundesregierung, reagierte auf diesen Urteilsspruch und beschloss daraufhin im Eilverfahren ein neues Gesetz, welches die Situation für Homosexuelle in Österreich aber nicht wirklich verbessern dürfte.

Diese neue Gesetz besagt, dass der Geschlechtsverkehr mit unter 16-jährigen verboten ist, wenn dies unter der Ausnutzung einer Zwangslage oder der fehlenden sexuellen Reife passiert. Es ist vorstellbar, wie die meist konservativen Richter in Prozessen gegen Homosexuelle urteilen werden. Die Ungleichbehandlung von homo -und heterosexuell liebenden Menschen ist also nach wie vor gegeben, nur geschieht es jetzt nicht mehr so offensichtlich.

Der Paragraf 209 stellte bisher homosexuelle geschlechtliche Handlungen von Männern über 19 Jahre mit Männern unter 18 Jahren unter Strafe. Das Schutzalter für heterosexuelle und lesbische Beziehungen liegt hingegen bei 14 Jahren. Allein seit 1989, als der VfGH eine erste Klage gegen den Paragrafen abwies, sind rund 250 Männer aufgrund des Gesetzes inhaftiert worden.

Unsachlich, nicht diskriminierend

In der Urteilsbegründung erklärte der VfGH zum §209, dass eine Regelung in sich unsachlich sei, wenn sie zur Folge habe, dass eine zunächst straflose gleichgeschlechtliche Beziehung allein auf Grund des Umstands strafbar werde, dass der ältere Partner das 19. Lebensjahr vollendet (wobei die Strafbarkeit mit Erreichen des 18. Lebensjahres des jüngeren Partners wieder entfällt). Der Verfassungsgerichtshof zieht – wie er in der Begründung seines Erkenntnisses hervorhebt – das vom Gesetzgeber verfolgte Schutzziel, Kinder und Jugendliche vor zu frühen und vor ausbeutenden sexuellen Beziehungen zu bewahren, aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht in Zweifel, er sieht den § 209 als Teil eines solchen Schutzkonzeptes. Der VfGH bezeichnet also den 209-er ausdrücklich als Teil eines Schutzkonzeptes, hebt ihn aber auf, weil er in sich nicht schlüssig sei. Ausschlaggebend war das berühmte und viel zitierte Beispiel zweier Burschen in einer Beziehung – der ältere wird 19 und somit zum Sexualverbrecher.

Noch-Justizminister Dieter Böhmdorfer meinte zur Aufhebung, er könne sich im Fall der nach 209 inhaftierten Männer maximal eine Begnadigung, keinesfalls aber eine sofortige Freilassung vorstellen. Es sitzt im Moment zwar "nur" ein Mann wegen des Verstoßes gegen den §209 im Gefängnis, aber das ist schon einer zuviel. Nicht vergessen werden dürfen auch die über 1.500 Verurteilten, deren Existenz nur allzu oft zerstört wurde und deren Daten noch immer in den Polizeicomputern gespeichert sind.

In ersten Reaktionen geben sich die österreichischen Homo-Organisationen eher zurückhaltend. "Gejubelt hätten wir 1989", sagt Univ.-Lekt. Dr. Helmut Graupner, Sprecher der "Plattform gegen §209" und Rechtsanwalt des Beschwerdeführers, "heute freuen wir uns, dass Österreich, das einst, 1787, als erstes Land der Welt die Todesstrafe für homosexuelle Kontakte abgeschafft hat, nun im Jahre 2002 endlich das nachvollzogen hat, was etwa Frankreich bereits 1791, Italien 1804, Spanien 1828, Portugal 1852 und die Türkei 1858 getan haben: nämlich homo- und heterosexuelle Beziehungen zumindest im Kriminalstrafrecht gleich zu behandeln".

Von einem Anschluss an die anderen Länder EU-Europas, die rechtliche Gleichstellung Homosexueller betreffend, könne allerdings noch nicht die Rede sein. Dazu müssten Schutzbestimmungen gegen Diskriminierungen erlassen sowie gleichgeschlechtliche Partner-Innenschaften und Familien rechtlich anerkannt werden.

Darüber hinaus beseitige das Urteil selbst die strafrechtliche Diskriminierung nicht zur Gänze, so Graupner. Zum einen habe der Verfassungsgerichtshof für das Außerkrafttreten eine Frist von neun Monaten gesetzt. Zum anderen sei der Paragraph auch danach noch in allen Verfahren weiter anzuwenden, in denen die Verhandlung erster Instanz zum Zeitpunkt des Außerkrafttretens des Paragrafen 209 bereits geschlossen ist. BerufungsrichterInnen müssten weiter nach dem Gesetz verurteilen, Verurteilte müssten ihre Strafe bis zur bitteren Neige abbüßen. Auch die Eintragungen im Strafregister (Vorstrafen) sowie die Vormerkungen in den polizeilichen Datenbanken blieben von der Aufhebung unberührt.

VfGH scheinheilig

Auch die linke Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien ist nicht zufrieden. "Wir begrüßen natürlich das Erkenntnis des VfGH sehr", kommentiert HOSI-Wien -Obfrau Helga Pankratz den Spruch des VfGH. "Das ist sicherlich eine späte Genugtuung für uns, allerdings bleibt der Wermutstropfen, dass diese Entscheidung so spät kam und seit dem offenkundigen Fehlurteil des VfGH von 1989 rund 250 Personen menschen-rechtswidrig ins Gefängnis gesteckt wurden.

Und auch in den letzten Monaten kam es noch zu Menschenrechtsverletzungen durch einzelne Gerichte, weil der VfGH nicht gleich im November 2001 bzw. im März dieses Jahres die Gelegenheit zur Aufhebung des Paragrafen 209 nützte. Mit dieser späten Korrektur kann sich daher der VfGH von der schweren Schuld, die er auf sich geladen hat, nicht befreien.."

Die neue politische Konstellation wird nun auch zum Test für die Bereitschaft von SPÖ und Grünen, tatsächlich etwas im Sinne der Schwulen zu verändern. Werden sie die Diskriminierung thematisieren, werden sie nach der Wahl etwas verändern? In Deutschland hat Bundeskanzler Schröder gezeigt, was Sache ist. Er stellte sich gegen das Adoptionsrecht für homosexuelle Menschen.

Aber nicht nur die Frage der Adoption ist strittig, eine ganze Reihe von wichtigen Forderungen stehen im Raum. Eine Gleichstellung im Wohnrecht, im Erbrecht, das Besuchsrecht im Krankheitsfall, die Möglichkeit zur Ehe und die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher ParnterInnenschaften mittels Einführung der eingetragenen PartnerInnenschaft sind wesentliche Forderungen.

Viele Homosexuellenorganisationen fordern auch einen Paragrafen, der die Diskriminierung verbietet. Die Frage, ob mit Gesetzen tatsächlich etwas verändert werden kann und wie die meist konservativen RichterInnen entscheiden würden, bleibt zwar bestehen, doch würde ein solcher Paragraf zumindest die Möglichkeit bieten, diskriminierendes Verhalten durch Klagen zu bekämpfen. Wesentlich ist auch die Aufhebung aller (NS-)Unrechtsurteile, eine finanzielle Entschädigung aller Verurteilten, insbesondere eine beitragsfreie Anrechnung der Haftzeiten auf die Pension und die Aufnahme der vom NS-Regime verfolgten Lesben und Schwulen ins Opferfürsorgegesetz.

Die Aufhebung des 209-er war ein Schritt in die richtige Richtung, doch der Kampf um die komplette Gleichstellung ist noch nicht zu Ende.