Generalstreik – Griechenland zeigt den Weg!

Am 26. April haben in Griechenland 85% aller Beschäftigten gegen die vorgesehene Anhebung des Pensionsalters und gegen die geplanten Angriffe auf die Sozialversicherung gestreikt. In Athen haben die Gewerkschaften eine Demo mit über 100.000 Teilnehmer/innen organisiert – die größte Demonstration seit dem Sturz der Diktatur 1974. Durch diesen Generalstreik hat die Regierung ihre Pläne zurückgezogen und befindet sich jetzt in einer Krise. Klassenkampf ist die einzige Sprache, die die Kapitalist/inn/en und ihre Handlanger in den Regierungen verstehen!

Folgenden Bericht erhielten wir von einem Genossen der griechischen trotzkistischen Organisation OKDE-Spartakos:

Griechenland: Angriff aufs Rentensystem

Der 26. April war der Tag des massenhaftesten Generalstreiks und der mit weit über 100.000 Teilnehmern riesigsten Demonstrationen in Athen und ganz Griechenland seit über 20 Jahren. Anlass waren die Ankündigungen der PASOK-Regierung unter K. Simitis und Arbeitsminister Jannitsis, das System der Rentenversicherung "reformieren", d.h. von einem auch im Vergleich zu den meisten anderen EU-Ländern inakzeptablen Niveau um bis zu 50% abstürzen lassen und damit praktisch völlig liquidieren zu wollen. Der Gesetzentwurf der Regierung sieht vor:

* Das Mindestalter für die Verrentung soll auf 65 Jahre oder 40 Jahre Arbeitszeit hochgeschraubt werden, während es bisher bei durchschnittlich 62 Jahren lag, wodurch die Altersgrenze für viele um 5 bis 10 Jahre steigen würde. Überdurchschnittlich hart betroffen wären von den so erzielten "Einsparungen" die Frauen.

* Die Renten aller in Privatunternehmen und im öffentlichen Dienst Beschäftigten – ausgenommen sind nur Militärangehörige, RichterInnen, PolizistInnen und Parlamentsabgeordnete! – werden z.T. drastisch reduziert und die Mindestrente abgeschafft. Für breite Schichten der arbeitenden Bevölkerung würde sich damit die Rente in eine Art Almosen-Unterstützung verwandeln, von der in Wirklichkeit niemand mehr leben könnte. Dabei ist zu bedenken, dass die Durchschnittsrente heute bei nur 47% der Reallöhne vor der Verrentung liegt. Die Regierung dagegen behauptet, mit dem beabsichtigten Kahlschlag den "öffentlichen" Charakter des Rentensystems zu garantieren.
Begründungen für die geplante "Reform", die in Wirklichkeit natürlich seit langem in enger Absprache mit den Verantwortlichen der Regierungen der wichtigsten EU-Länder auf den Weg gebracht wurde, sind einerseits die steigenden Kosten für die Rentenfinanzierung wegen des steigenden Lebensdurchschnittalters und der negativen demographischen Entwicklung und vor allem die jährlichen Defizite der Rentenkassen in Höhe von 500 Milliarden Drachmen (ca. 3 Mia. DM).

Demgegenüber ist festzustellen:

* Die Steuerhinterziehungen der Unternehmen belaufen sich jährlich auf geschätzte 600 Mia. Drachmen.

* Weit mehr als 500.000 – die genaue Zahl ist wegen fehlender Statistiken unbekannt – ImmigrantInnen arbeiten "illegal", d.h. ohne jede Sozialversicherung und werden auf diese Weise Opfer extremer Ausbeutung. Gefördert wird dies durch regierungsoffiziellen Rassismus, indem den ImmigrantInnen die Aufenthaltsgenehmigung verweigert wird. Gleichzeitig wird so zwangsläufig das allgemeine Lohnniveau gesenkt.

* Staat und vor allem Unternehmen schulden der größten Rentenkasse (IKA) Beträge in Höhe von vielen Mia. Drachmen.

* In den Jahrzehnten nach 1950 wurden die Rentenbeiträge der Arbeitenden den Banken als fast zinslose Darlehen zur Verfügung gestellt, während die Inflation lange Zeit Höhen von bis zu 20% erreichte.

* Hunderte von Milliarden wurden auf Anweisung der PASOK-Regierung an den Börsen "investiert" und verspielt. Gerade aufgrund dieser letzten beiden Punkte wurden die Rentenkassen jahrzehntelang von Staat und Kapital regelrecht ausgeplündert.

* Durch den scheinbar unaufhaltsamen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf derzeit offiziell mehr als 12% werden, abgesehen von allen anderen negativen Folgen, die Kassen der Sozialversicherungen noch stärker belastet.

Neoliberale Attacken der PASOK-Regierung

Für diese katastrophale Misswirtschaft, die gerade in den letzten 15 Jahren durchaus nicht zufällig von einem schwindelerregenden Anstieg der Profite von Großunternehmen und Großbanken begleitet wurde, sind einzig die Regierungen von Nea Dimokratia und PASOK verantwortlich.
Die geplante Zertrümmerung des öffentlichen Rentensystems ist nichts anderes als der Höhepunkt sowie die entscheidende Nagelprobe des neoliberalen Programms der seit 1996 amtierenden Regierung Simitis. Durch eine Reihe von "Spar-" und "Sanierungs-" Maßnahmen wurden Wirtschaft und Staatshaushalt nach den Kriterien von Maastricht und Amsterdam ausgerichtet.

Die Resultate dieser Politik bestehen hauptsächlich darin, dass

* der Anteil der "sozial Ausgegrenzten" bei gut einem Drittel der Gesamtbevölkerung liegt

* die Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse nicht nur de facto, sondern auch gesetzlich vollkommen "flexibilisiert" sind (Simitis hat daher vor 3 Jahren in einer Rede vor PASOK-GewerkschaftlerInnen von dem "zu Beschäftigenden" als Normalfall des zukünftigen Arbeitnehmers gesprochen)

* die Reallöhne stagnieren oder fallen

* staatlich sanktionierter, von Regierung und PASOK-Führung kräftig geförderter und gesellschaftlich verbreiteter Rassismus zunehmen

* das System der öffentlichen Krankenversorgung dahinsiecht

* das Schul- und Bildungswesen einer leistungsverschärfenden "Reform" unterzogen wurde, die das Erziehungswesen mehr als je zuvor den Marktmechanismen preisgibt.

Außerdem hat die Regierung einen Gesetzentwurf zur "Bekämpfung des Terrorismus" vorbereitet, der selbst nur als terroristisch zu bezeichnen ist und schwerwiegende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte des/r Einzelnen vorsieht. Ergänzt werden die Gesetzesnovellen durch eine geplante Restriktion des Demonstrationsrechts. Griechenland befindet sich damit wieder einmal auf dem Weg in den Polizeistaat, diesmal unter "sozialistischer" Regie.

Die 90er Jahre waren nicht zufällig die Zeit der (bis heute andauernden) Krise der linken Parteien, die aufgrund ihrer reformistischen Orientierung der Offensive von Regierungen und Kapital kaum etwas entgegenzusetzen hatten, linker Alternativen allgemein und vor allem auch der Gewerkschaftsbewegung.

Da die Gewerkschaftsbürokratie hauptsächlich von PASOK dominiert wurde und wird, erreichte der Verlust an Glaubwürdigkeit, die von den Gewerkschaften beansprucht wird, dramatische Ausmaße. Die Versuche, der vorherrschenden Politik wenigstens ansatzweise etwas entgegenzusetzen, waren einfach zu bescheiden.

Auf alle Regierungsmaßnahmen zu Lasten der Arbeitenden, RentnerInnen und Arbeitslosen reagierte die Gewerkschaftsführung in der Regel mit phantasie- und konzeptlosen "24-Stunden Generalstreiks", von denen niemand einen Durchbruch oder auch nur teilweise Verbesserungen erwarten konnte. Tatsächlich geführte ernsthafte Abwehrkämpfe in verschiedenen Bereichen und Branchen blieben praktisch isoliert und wurden im Stich gelassen. Die aktive Beteiligung an den von den Gewerkschaften ausgerufenen Streiks erreichte daher in den letzten Jahren einen Tiefpunkt.

Der Streik vom 26. April

Um so durchschlagender war der Wechsel der Szenerie mit dem Streik vom 26. April. Wieder riefen die Gewerkschaften zu einem eintägigen Generalstreik auf, diesmal aber beteiligten sich weit über Hunderttausend Menschen im ganzen Land am Streik und an den Demonstrationen, am massenhaftesten natürlich in Athen.

Es ist offensichtlich, dass die Regierung – im Vertrauen auf die Schwäche des sozialen Widerstands in den letzten Jahren – die Intelligenz und die Kampfbereitschaft der betroffenen Menschen bei weitem unterschätzte, als sie ihre Pläne zur "Rentenreform" vorlegte und damit fast die gesamte Gesellschaft gegen sich mobilisierte.

Noch am Abend des 25. April, als bereits klar war, dass der Streik lawinenartige Ausmaße annehmen würde, sah sie sich daher gezwungen, die angekündigten Vorlagen vollständig zurückzunehmen und einen "Dialog" vom Ausgangspunkt null vorzuschlagen. Gleichzeitig erklärte sie aber, dass die bevorstehenden Verhandlungen bis zum Jahresende abgeschlossen und eine abstimmungsfähige Gesetzvorlage erarbeitet werden müssen.

Es steht viel auf dem Spiel und alles wird davon abhängen, wie Gewerkschaftsführung, Parteien und die ins Rollen gekommene Massenmobilisierung auf die nächsten Entwicklungen reagieren werden. Regierung wie Gewerkschaften werden für die anstehenden Auseinandersetzungen neue Konzepte entwickeln müssen. Der nächste Generalstreik ist für den 17. Mai angesagt.