Zu einer grassierenden Unsitte in der Wiener Linken

Schon seit einigen Monaten mussten wir beobachten, dass immer öfter Plakate oder Aufkleber von linken Gruppen durch andere "Linke" überklebt wurden. In Bezug auf die antisexistische Kampagne der RSO in den letzten Wochen haben sich solche Vorfälle gehäuft – für uns der Anlass, auf diese Dinge auch öffentlich zu reagieren.

Mit dem, was wir hier in der Linken thematisieren wollen, meinen wir nicht, dass seit langem Leute der antiiranischen Stop-the-Bomb-Kampagne auf der Uni Wien Plakate von linken Organisationen überkleben. Von den antideutschen Cheerleadern des US-Imperialismus ist nichts anderes zu erwarten; sie gehören weder zur Linken noch zur ArbeiterInnenbewegung.

Wir meinen auch nicht, dass seit Monaten immer wieder Aufkleber der RSO oder anderer linker Organisationen mit "Space Invaders against…"-Pickerln überklebt werden. Die Pickerln wurden zwar von der Rosa Antifa Wien aufgelegt, werden aber sehr breit zirkuliert und wir gehen davon aus, dass antideutsche Autonome/JungakademikerInnen für die Überklebungen verantwortlich sind. Für diese Leute ist das normal und wir machen davon nicht weiteres Aufheben.

Dass die Leute vom Gegenstandpunkt am Uni Campus und beim NIG unsere "Fight-Sexism!"-Plakate (und früher auch schon andere) überkleben, überrascht uns ebenfalls wenig. Die GegenstandpunktlerInnen hatten immer schon ein zynisch-kommentierendes Verhältnis zur ArbeiterInnenbewegung und zu linken Organisationen.

Zuletzt sind uns aber einige Dinge aufgefallen, die wir so nicht erwarten. Im Wahlkampf wurden bei der U3-Station Kendlerstraße Plakate der KPÖ mit solchen des Wahlbündnisses LINKE überklebt. Im Amerlinghaus wurden Aufkleber von IA*RKP durch solche der Linkswende überklebt. Im 6ten Bezirk wurden Aufkleber der RSO gezielt mit solchen der KJÖ überklebt.

Gehäuft hat sich das jetzt in Bezug auf die antisexistischen RSO-Plakate „Fight Sexism!“ Am Karlsplatz wurden unsere Plakate mit Plakaten von AIK und Republican Sinn Fein Österreich überklebt. Vor dem und im NIG wurden Fight-Sexism-Plakate der RSO von solchen des Bündnisses gegen die Angelobung von Martin Graf überpickt. Am massivsten wurden unsere Plakate vor der Uni Wien und dem NIG durch die Linkswende überklebt.

Nun hat eine antisexistische Kampagne ohnehin schon mit Gegenwind zu rechnen. Große Teile der Gesellschaft interessiert das Thema nicht. Sexisten und Rechte reißen unsere Plakate natürlich an vielen Stellen runter. Wenn dann auch noch sich selbst als Linke verkaufende Gruppierungen antisexistische Plakate überkleben, ist das beschämend und ärgerlich.

Wir gehen davon aus, dass es sich bei den meisten Überklebeaktionen eher um Unachtsamkeit und mangelndes Bewusstsein von einzelnen AktivistInnen oder SympathisantInnen handelt. Das kann mal passieren; es könnte aber doch sein, dass von den erfahrenen AktivistInnen der jeweiligen Gruppen etwas mehr politisches Bewusstsein über diese Fragen weitergegeben werden sollte.

Anders dürfte die Sache bei der Linkswende gelagert sein. Zu viele unserer Plakate wurden mit Linkswende-Postern überklebt, als dass hier noch von einem Ausrutscher die Rede sein könnte. Von RSO-AktivistInnen darauf angesprochen reagierte ein Linkswende-Checker dann auch noch uneinsichtig und aggressiv. Das bedeutet wohl, dass die Linkswende-Führung solche Aktionen zumindest billigt.

Nun dürfte vielen in der Linken bekannt sein, dass die RSO der Verwendung des Begriffes „Sekte“ für andere linke Gruppierungen skeptisch gegenübersteht (weil es sich dabei zu oft nur um einen abgedroschenen Kampfbegriff handelt), das Verhalten der Linkswende halten wir aber im tatsächlichen und politischen Sinn für sektenhaft: Vermeintliche kurzfristige Vorteile für die eigene Gruppierung werden über alles andere gestellt. Das jämmerliche Bild, das die ohnehin schon gesellschaftlich stark isolierte radikale Linke durch gegenseitiges Überkleben in der Öffentlichkeit abgibt, ist diesen Leute vermutlich schlicht egal.

Wir wollen dieses Statement durchaus nicht als Jammerei verstanden wissen. Wir können uns wehren und selbstverständlich reißen wir Plakate, die über unsere geklebt wurden, wo immer möglich herunter. Gruppen wie die Linkswende brauchen, wenn sie so weitermachen, mit keiner Solidarität von unserer Seite rechnen.

Wir wollen aber mit dieser Stellungnahme zu einer Erneuerung eines gewissen Grundverständnisses in der Linken beitragen. Für uns ist es selbstverständlich (und das kommunizieren wir auch unseren SympathisantInnen), dass wir Plakate von anderen Gruppen und Strömungen der Linken und der ArbeiterInnenbewegung nicht überkleben. Wir machen das auch dann nicht, wenn wir mit so manchen politischen Positionen der jeweiligen Gruppierung nicht einverstanden sind. Für uns geht es dabei um das Grundprinzip von Demokratie innerhalb der ArbeiterInnenbewegung. Es gibt Meinungsverschiedenheit und Konflikte, ja, und die müssen auch offen und manchmal heftig ausgetragen werden, aber es sollten nicht die gesamtgesellschaftlichen Relationen aus den Augen verloren werden, es muss für alle Strömungen der ArbeiterInnenbewegung und der Linken die Möglichkeit bestehen, ihre Meinungen zu artikulieren und nicht von anderen „Linken“ daran gehindert zu werden.

Wir als RSO gehen sogar soweit, dass wir nicht auf Plakate der Sozialdemokratie plakatieren. Obwohl wir keinen Zweifel daran haben, dass die Sozialdemokratie eine neoliberale Politik, die sich gegen ArbeiterInnen und besonders MigrantInnen richtet, betreibt, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass diese Partei leider noch immer einen wesentlichen Teil der realen ArbeiterInnenbewegung in Österreich darstellt. Ihre Plakate zu überkleben, würde auch diejenigen abschrecken, die immer noch Illusionen in ein „fortschrittliches“ Potential der Sozialdemokratie haben.

Der linke Grundkonsens, Plakate/Aufkleber von anderen Gruppen nicht zu überkleben, war vor einigen Jahren noch eine ziemlich klare Sache. Gegenseitiges Überkleben ist nur in den seltensten Fällen vorgekommen. Dass sich das zuletzt etwas geändert hat, ist wohl auch Ausdruck des degenerierten Zustandes der österreichischen Linken und ihrer Isolation von der ArbeiterInnenklasse. Das kann nicht durch ein paar Worte überwunden werden. Wir denken aber doch, dass große Teile der radikalen Linken grundsätzlich damit einverstanden sind, sich nicht gegenseitig zu überkleben. Wir rufen dazu auf, in den eigenen Organisationen und Zusammenhängen auch gegenüber neueren AktivistInnen wieder verstärkt Bewusstsein und Sensibilität für einen solchen Grundkonsens zu schaffen.