Tod im Stadtpark: Der Fall Seibani Wague

Am 15.07.2003 verstirbt der Mauretanier Seibani Wague während eines Polizeieinsatzes. Ein halbes Jahr nach dem tragischen Vorfall und nach Abschluss des ersten Ermittlungsverfahrens sind noch viele Fragen offen. Wir ziehen Bilanz.

Eigentlich beginnt alles ganz harmlos. Zwei Männer streiten sich über etwas. Sie sind beide emotional stark in das Streitthema involviert. Es heben sich ihre Stimmen. Der eine ist Österreicher. Er schimpft wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Der andere ist Mauretanier. Obwohl er gut Deutsch kann, stößt er in dieser Situation an die Grenzen seiner Deutschprachigkeit und versucht, seinen Standpunkt mit Gestik und Mimik zu verdeutlichen. Die Situation eskaliert. Der Österreicher holt die Polizei. Als die Polizei eintrifft, sieht sie einen gestikulierenden Afrikaner und einen aufgeregten Österreicher. Die Situation ist klar. Der Österreicher muss beschützt, der Afrikaner gestoppt werden. Dann ist der Afrikaner tot.

Es ist der 15.07.2003, als der Mauretanier Seibani Wague und der Wiener Sozialarbeiter Malle im Afrikakulturdorf im Wiener Stadtpark, welches im Sommer 2003 als Treffpunkt zum Kennenlernen afrikanischer Kultur eingerichtet wurde, in Streit geraten. Was sich an diesem Abend abspielt, kann heute niemand mehr sagen. Fakt ist, dass der Streit immer heftiger wird, dass Malle sich bedroht fühlt, die Polizei verständigt und sich in seinem Auto einschließt. Als diese eintrifft, wird die Rettung verständigt. Ein Polizist meint später, er glaubte, der Afrikaner sei in einem Drogenrausch oder kurz vorm Durchdrehen gewesen.

Das mit dem Drogenrausch, erweist sich später als Fehleinschätzung. Als die Rettung kommt, wird Seibani mit Spritzen ruhig gestellt und, mit den Händen am Rücken gefesselt, auf den Bauch gelegt. Ein Anrainer filmt den Ablauf des Geschehens und lässt dieses Video am nächsten Tag der Wiener Stadtzeitung Falter zukommen. Das Video sorgt medial für großes Aufsehen, denn was später seitens der Polizei und der Rettung dementiert wird, ist darauf genau zu sehen. Der Notarzt steht scheinbar gelangweilt herum, während Seibani regungslos am Boden liegt. Ein Sanitäter und eine Polizistin posieren mit jeweils einem Fuß auf seinem Körper.

Später wird zur Rechtfertigung gemeint, der Arzt hätte auf Weisungen der Polizei gewartet und die Polizei hätte den tobenden Afrikaner niederhalten müssen. Kritische Stimmen fragen sich, seit wann Ärzte der Polizei unterstellt seien und wie ein regungsloser Körper toben könne.

Strasser stellt sich hinter die Täter

Doch es geht noch weiter. Während der Arzt sofort suspendiert wird, erklärt Innenminister Strasser, dass seine PolizistInnen bestimmt richtig gehandelt hätten und schickt sie weiter in Dienst. Von Suspendierung will er nichts hören. Es beginnt ein Ermittlungsverfahren, während sich am 25.07.2003 6000 DemonstrantInnen versammeln, um gegen die Polizeiaktion, die zum Tod von Seibani führte, zu demonstrieren. Sie fordern "Gerechtigkeit für Seibani Wague" und die lückenlose Aufklärung des Vorfalls. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ein Afrikaner in Polizeiarrest stirbt. Auch Marcus Omofuma, jener Schubhäftling, der 1999, von der Polizei geknebelt, im Flugzeug erstickte, hatte seine Abschiebung nicht überlebt. Damals gab es einen hellen Aufschrei, der jedoch mehr und mehr verstummte. Diesmal sollte es nicht mehr so sein. Diesmal sollte endlich etwas bewirkt werden.

Gleichzeitig tauchen immer mehr Ungereimtheiten auf:

o Was hat der Arzt für ein Beruhigungsmittel gespritzt? Durfte er das überhaupt und warum hat er die Lebensfunktionen von Seibani nicht permanent überprüft?

o Warum hat die Polizeiaktion so lange gedauert und warum musste Seibani am Boden gefesselt liegen bleiben, obwohl er sich nicht mehr wehrte?

o Schließlich wird eine interne Polizeiweisung aus dem Jahre 2000 bekannt, in der vor Erstickungsgefahren beim Fesseln in Bauchlage gewarnt wird. In Deutschland und den USA ist das Fesseln in Bauchlage eben aus diesem Grund bereits verboten.

In den Medien wird die Berichterstattung über den Vorfall scheinbar "zufällig", neben der Berichterstattung von afrikanischen Drogendealern gesetzt und geteilte Meinungen machen sich breit. Anstatt den Vorfall selbst zu hinterfragen, werden Stimmen laut, die den Aufenthalt von AfrikanerInnen in Österreich in Frage stellen. Am 21.07.2003 kommt es sogar zu einem Brandanschlag im Afrikakulturdorf, den die Polizei ziemlich schnell zu den Akten legt. Bei der Obduktion des Leichnams von Seibani wird von einem Herzfehler gesprochen und es kommt unweigerlich der Eindruck auf, dass der Pathologe sich nicht weiter bemüht hätte, die lebensgefährliche Position von Seibani – nämlich mit Händen am Rücken in Bauchlage gefesselt zu sein – als Todesursache in Betracht zu ziehen. Auch die Medien stellen die Tragödie um Seibani ziemlich bald als Verkettung unglücklicher Umstände dar.

Die Witwe von Seibani, eine junge Wienerin, klagt die Polizei beim UVS (Unabhängiger Verwaltungssenat), der die Rechtmäßigkeit der Polizeiaktion beurteilen soll. Dabei beweist die Wiener Polizei, wie sehr ihr an der Aufklärung des Vorfalls liegt. So wird z.B. ein Bus PolizeischülerInnen zu einer der insgesamt vier Verhandlungen angekarrt, um für niemanden der Seibani-Sym-pathisantInnen einen Platz bei der öffentlich (!) stattfindenden Verhandlung frei zu lassen. Auch die Witwe, die als Beschwerdeführerin im Verfahren auftritt, wird zunächst am Einlass gehindert und, wie im Kino, nach einer Platzkarte gefragt.

Aussageverweigerung

Die vorgeladenen PolizistInnen verweigern allesamt die Aussage und das, obwohl der Richter ihnen mit einem Disziplinarverfahren droht, das er später auch umsetzen wird, weil sie zur Aussage verpflichtet wären. Anscheinend unbeeindruckt und offensichtlich vom Innenminister darin auch noch bestärkt, setzen die PolizistInnen bis zuletzt ihr Schweigen fort und boykottieren damit die Verhandlung. Der Richter entscheidet schließlich, dass die Polizeiaktion lebensgefährlich und nicht rechtmäßig war.

Ein Erfolg? Ja, wenn bedacht wird, dass zumindestens die Unrechtmäßigkeit offiziell aufgezeigt werden konnte. Nein, weil sich eigentlich nichts an der Ursachenforschung und der Ursache selbst geändert hat. Nein, weil PolizistInnen weiterhin auf ihre Art mit AfrikanerInnen umgehen werden. Nein, weil sich weiterhin zu viele ÖsterreicherInnen denken, dass "der Drogendealer" schon irgendwas ausgefressen haben wird, um dann so "unglücklich" zu sterben. Nein, weil noch allzuwenige den Rassismus in unserer Gesellschaft, der durch Medien, Pauschalurteile und ewige Vorurteile immer wieder bestärkt wird, öffentlich hinterfragen. Nein, weil der gesellschaftliche Rassismus als Thema von vielen einfach totgeschwiegen wird. Nein, weil AfrikanerInnen weiterhin Angst vor Polizeiübergriffen haben müssen. Nein, weil nur das Übel selbst und dessen Folgen kritisiert, nicht aber dessen Wurzel entfernt wurde.

Faktum ist, dass nach nur einem halben Jahr, wieder alle Stimmen zu verstummen scheinen; dass, wie im Fall Omofuma, das Feuer der ersten Wut unaufhaltsam auszubrennen scheint; dass auch Seibanis Tod keinen effektiven und zielführenden Umdenkprozess bewirken konnte.

Politische Arbeit ist nun gefragt! Rassismus muss öffentlich und permanent hinterfragt, die Ursachen, die Wurzeln des Übels müssen unüberhörsam gemacht werden. Das Problem zu kennen und tatenlos zu bleiben, bringt nichts. Wir dürfen jetzt nicht aufgeben! Sonst werden auch diese Stimmen wieder verstummen.