„Wer spendet schafft an“. Teil 2

„Jetzt ist schon wieder was passiert.“ Mit diesem Satz beginnt jeder der bekannten österreichischen Brenner-Kriminalromane. Und tatsächlich fühlt man sich bei den beinahe täglich neuen Ereignissen und Meldungen wie in einem Krimi. Den Überblick zu behalten fällt schwer. Was mit dem Ibiza-Video 2019 begann, entwickelte sich über die Schredder- und Casinos-Affären hin zu Hausdurchsuchungen bei hochrangigen Politikern und Beamten. Bisher ohne nennenswerte Konsequenzen.

Teil II: „Projekt Ballhausplatz“ – der neue Stil

In Teil I des Artikels wurden die Korruptions-Affären und Verstrickungen seit Veröffentlichung des Ibiza-Videos nachgezeichnet. Teil II widmet sich dem „Projekt Ballhausplatz“, dem Projekt der Türkisen zur strategischen Eroberung und Sicherung der politischen Macht – das wollen auch reiche Unternehmer*innen nicht verpassen.

„Legal. Illegal. Scheißegal.“

Die Frage welche der in Teil I beschriebenen Aktivitäten tatsächlich strafrechtlich relevant sind und mit genügend Beweisen zu Verurteilungen führen werden, ist nur die eine Seite der Medaille. Denn auf der anderen Seite steht der tagtägliche, völlig legale enge Kontakt zwischen Spitzenpolitiker*innen, Reichen und Unternehmer*innen – zusätzlich vermittelt über Lobbyist*innen und sogenannte Berater*innen. Die Korruptionsaffären machen deutlich, wie fließend der Übergang zwischen Politik und Kapital ist und dass gerade das die herrschende Klasse auszeichnet. Ihre Vertreter*innen üben ganz offen Doppelfunktionen in Unternehmen und Politik aus oder wechseln zwischen Jobs in Politik und Wirtschaft hin und her, viele kennen sich noch aus der Schule, der Uni oder früheren Tätigkeiten. Über Familie, Partner*innen und Freundeskreise sind sie miteinander verbunden.

Es ist ein Milieu, das bestens vernetzt ist und die politische und ökonomische Macht unter sich aufgeteilt hat. „Netzwerken“ ist hier keine besondere Fähigkeit, um auf der Karriereleiter weiterzukommen, sondern integraler Bestandteil des Lebens und Geldverdienens der Herrschenden.

Man trifft sich beim Nobelitaliener in der Wiener Innenstadt, beim berüchtigten Sauschädlessen von Raiffeisen, in Hinterzimmern befreundeter Clubbesitzer, beim Jagen in ausgedehnten privaten Ländereien oder im VIP Bereich bei einem Ski-Event.

Diese Naheverhältnisse und diese Vertrautheit zeigen sich auch in den bisher veröffentlichten Chatprotokollen. Man kennt sich, ist befreundet und hilft sich gegenseitig weiter. Man weiß, wie sich politische und ökonomische Macht am besten kombinieren und ergänzen lässt – zum Vorteil beider Seiten.

Ganz praktisch sieht das in Österreich dann unter anderem folgendermaßen aus: Die engen Verbindungen der ÖVP mit dem Raiffeisen-Imperium sind bekannt und nicht neu. Strukturelle Verflechtungen zwischen ÖVP und Unternehmen bestehen auch über die von ihr dominierten Wirtschaftskammern. Stellvertretend für ein ganzes System sei hier Franz Hörl angeführt, der für die ÖVP im Nationalrat sitzt, der Tiroler Wirtschaftskammer vorsteht, Obmann der Seilbahnwirtschaft sowie selbst Unternehmer ist. Er ist auch Teil der Adlerrunde, einem Verband Tiroler Unternehmer*innen, von denen über eine Million Euro an die Kurz-ÖVP gespendet wurde. Absurd, falls jemand auf die Idee kommt, dass das laxe Vorgehen der Behörden in Ischgl, die Verzögerung des zweiten Lockdowns zur Rettung der Schisaison und das Offenhalten der Schigebiete im zweiten Lockdown irgendetwas mit diesen Verbindungen zu tun haben könnte.

Für beide Seiten von Vorteil war etwa auch die Auslagerung der völlig undurchsichtigen Vergabe der staatlichen Corona-Hilfen für Unternehmen an die Wirtschaftskammer. Diese ist noch näher an den Unternehmen dran und kann sicherstellen, dass das Geld dort ankommt, wo sie – bzw. die in der Wirtschaftskammer dominierenden Stimmen – es will. Die Beihilfenvergabe unterliegt so weit weniger parlamentarischer Kontrollmöglichkeiten. Ein weiteres Beispiel ist der Totalflop des „Kaufhaus Österreich“, eine von Wirtschaftsministerium und -kammer in Auftrag gegebene Website, die österreichischen Geschäften eine Plattform zum Bestehen im Onlinehandel bieten sollte. Wohin die 1,2 Millionen Euro für eine nicht funktionale und simpel gestrickte Datenbank geflossen sind, bleibt unklar. Kaum anders ist es um die Website „Österreich testet“ bestellt. Bei irgendjemanden ist in beiden Fällen für sehr wenig und sehr schlechte Arbeit sehr viel Geld gelandet.

Im Umfeld der türkisen ÖVP tummeln sich auch der in wenigen Jahren aufgestiegene Immobilien-Milliardär Rene Benko sowie KTM-Chef Stefan Pierer. Zu den Großspendern gehört zudem die Milliardärin Heidi Horten, die monatlich 49.000 Euro überweist (gerade unterhalb der meldepflichtigen Spendengrenze von 50.000 Euro). Auf Spendenlisten stehen auch zahlreiche durch die Industriellenvereinigung (IV) vertretene Unternehmer*innen. Vielleicht fanden sich deswegen im ÖVP-FPÖ Koalitionsabkommen Passagen, die eins zu eins aus Forderungspapieren der IV stammten?

Systematische Nähe

Besonders aufschlussreich und aktuell ist das System Novomatic. Dessen Eigentümer Johann Graf zählt mittlerweile zu einer der reichsten Österreicher*innen. Das große Geld hat er nach der Liberalisierung des Glücksspielmarktes in Österreich gemacht. 2020 wurde bekannt, dass das ÖVP-regierte Finanzministerium das Projekt „Glücksspiel-Reform 2018“ in Planung hatte – den Auftrag erteilte Finanzminister Hartwig Löger höchstselbst (auch bei ihm gab es später eine Hausdurchsuchung). Geplant war offenbar das „kleine“ Automatenglücksspiel durch Bundeskonzessionen wieder landesweit möglich zu machen (gegen bestehende Verbote in vier Bundesländer) und den Online-Glücksspiel-Markt zu öffnen.

Die Verbindungen von Novomatic in die Politik sind vielschichtig. Diversen amtierenden oder ehemaligen Politiker*innen aller Parteien wurden über Jahre Jobs bei Novomatic angeboten.

Dabei geht es wohl stark darum von deren Netzwerken und Insiderwissen zu profitieren. Novomatic-Eigentümer Johann Graf ist zu dem für seine großzügigen Schenkungen an leitende Mitarbeiter*innen bekannt – einige davon haben ein privates oder familiäres Naheverhältnis zu Politiker*innen. Spendenlisten belegen darüber hinaus, dass es Sponsorings in großem Stil gibt: für parteinahe Vereine; für Events, die Politiker*innen als Wahlkampfbühne nutzen; für Fußballvereine, in deren Vorständen Politiker*innen sitzen. Der Public-Affairs-Leiter der Novomatic verteidigte diese Praxis der „politischen Landschaftspflege“ im Ibiza-U-Ausschuss als in der Branche üblich: „Nein, Novomatic zahlt nicht alle. Aber sehr viele wollen die Unterstützung von Novomatic.“ Für Novomatic geht es dabei wohl auch darum, sich als Konzern ein positives Image und Legitimität zu verschaffen – wenn man seine Milliarden schon mit der Spielsucht und Verarmung von Menschen verdient.

„Projekt Ballhausplatz“

Enge Verbindungen zwischen Wirtschaftsbossen und Politiker*innen und damit einhergehende Korruptions-Affären sind weder neu noch überraschend. Jedoch schafft die Übernahme der ÖVP durch die Türkisen rund um Sebastian Kurz für Teile der Herrschenden eine neue, vielversprechende Situation. Kurz’ ÖVP ist massiv verschuldet und auf Großspenden zur Finanzierung teurer Wahlkämpfe und der Dauer-PR angewiesen. Umgekehrt ist Kurz der Hoffnungsträger, der der schwächelnden Wirtschaftspartei ÖVP zu neuer, glamouröser Stärke verholfen hat und auf Jahre hinweg als Bundeskanzler festzustehen scheint – zumindest bis vor kurzem. Er steht für eine Modernisierung der ÖVP, den lang ersehnten Bruch mit dem System der Sozialpartnerschaft und eine neo-konservative Wende, in deren Windschatten sich kapitalfreundliche Politik ideal durchsetzen lässt.

Korruptionsbekämpfung gestrichen?!

Die Ausrichtung auf die strategische Eroberung und Sicherung der politischen Macht wird in den geleakten Dokumenten des türkisen „Projekt Ballhausplatz“ ganz offen formuliert. Darin werden von Kurz und seinem engsten Umfeld, zu dem auch PR- und Unternehmensberater zählen, die Schritte zur Machtübernahme in der ÖVP und die Zeit danach geplant: der angepeilte Wahlsieg, die ersten 100 Tage einer künftigen Regierung und der Aufbau einer eigenen Medienmacht. Die „neue Volkspartei“ verfolgt einen strategischen, offensiven Plan, um die österreichische Politik und Medien möglichst dauerhaft dominieren zu können. Das spielt sich auf mehreren Schauplätzen ab, auf denen die bürgerlich-demokratische Ordnung gehörig Richtung Autoritarismus verschoben wird.

Die Türkisen setzen auf „Message Control“, um das größtmögliche Maß an Kontrolle in der Kommunikation zu behalten. Dazu zählt auch, dass man klassische Medien „bypassen“ will, weil diese sind „tendenziell gegen uns/helfen uns nicht“. Passend dazu wurden seitdem die Boulevardblätter großzügig mit Presseförderungen und Inseraten bedient, während investigativen Zeitungen der Geldhahn zunehmend abgedreht wird. Unter Kurz sind die Ausgaben für Regierungskommunikation, also Eigenwerbung, steil angestiegen. Die Kommunikationsabteilung im Kanzleramt zählt mittlerweile mehr Mitarbeiter*innen als diverse etablierte Zeitungsredaktionen.

Ein weiterer Baustein des türkisen Masterplans sind die „Sponsoren“, die noch vor der Übernahme der ÖVP durch Kurz in einer eigenen Liste erfasst wurden. Die ÖVP war schon immer die Hauptpartei des österreichischen Kapitals und ist das auch unter Kurz geblieben – aber nun ergänzt um die Hoffnung auf eine kapitalfreundliche Modernisierungspolitik. Der Grat zwischen illegalem Gesetzeskauf und legalem Lobbying ist und bleibt ein schmaler. Zahlreiche Großspender sahen ihre Wünsche (12-Stundentag, Senkung der Körperschaftssteuer, Verringerung der Unfallversicherung, …) rasch umgesetzt. Sie haben ein Interesse daran, die Türkisen möglichst lange an der Macht zu halten – mit finanzieller Unterstützung.

Diese Perspektive könnte durch die aktuellen Korruptions-Affären bedroht werden, weswegen die ÖVP nun scharf gegen die Justiz schießt und mit Klagsdrohungen um sich wirft. Dieses Vorgehen ruft sogar besorgte Bürgerliche auf den Plan, die die bürgerlich-demokratische Gewaltentrennung und eine „unabhängige Justiz“ gefährdet sehen und denen die Türkisen hier zu weit gehen. Alles macht den Eindruck, dass für Kurz und Konsorten gerade wirklich viel auf dem Spiel steht. Die Gefahr ist nicht nur, dass es zur Anklage und Verurteilung einzelner Politiker*innen und Spender*innen kommt, sondern dass das ganze türkise Projekt wie ein Kartenhaus zusammenstürzt. Die ÖVP hat es bisher geschafft den Ibiza-Skandal unbeschadet zu überstehen und die FPÖ als alleinig involviert darzustellen. Das könnte sich nun ändern.

Klassenkampf!

Unabhängig davon zu welchen Anklagen und Verurteilungen es kommen wird, zeichnen die aktuellen Korruptions-Affären ein Bild von der herrschenden Klasse in Österreich. Das Kapital und die mit ihr verbundenen Politiker*innen und Beamt*innen nutzen ihre Macht für ihre gemeinsamen Interessen und Zwecke. Sie arbeiten systematisch und auf zahlreichen Ebenen daran, das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu verschieben, ihre Machenschaften und ihre Macht auszubauen und abzusichern, sowie die Umverteilung nach oben zu beschleunigen und die ArbeiterInnenklasse noch weiter in die Defensive zu drängen. Das reicht von Wahlkampfspenden und Jobangeboten über geheime Informationsweitergabe und internen Weisungen im Justizresort bis hin zu Einfluss auf Medien – und noch weit darüber hinaus. Das allermeiste davon ist nach geltenden Gesetzen völlig legal. Und sowieso finden diese Absprachen, egal ob über legale Spenden oder strafrechtlich relevante Freundschaftsdienste, fernab der Öffentlichkeit im Kreise der oberen 10.000 statt.

Kurz’ und seine türkise Truppe waren für den Großteil des österreichischen Kapitals bisher ein hoffnungsvolles „Leuchtturmprojekt“, das auch vor offensiven und autoritären Vorstößen nicht zurückschreckt. In den letzten Wochen hat sich das nochmals deutlich intensiviert. Wenn Kurz diese Kraftprobe übersteht, würde das auf eine Festigung der türkisen Macht hinauslaufen und kommende Angriffe massiv erleichtern und befeuern. Auch wenn es die türkisen Attacken gegen die Justiz klar zu bekämpfen gilt, müssen wir uns darüber klar sein, dass der bürgerliche Rechtsstaat nicht neutral und nicht auf unserer Seite ist. Gerichte können zwar korrupte Machenschaften in die Schranken weisen, aber das bürgerliche Recht wird weder dem ständigen legalen Klassenkampf von oben, noch der türkisen Offensive gegen die Arbeitenden etwas entgegensetzen. Das können nur die Lohnabhängigen selbst – durch gemeinsame Kämpfe gegen Kapital und Regierung.