Geschichte der Komintern

Kommunistische Internationale: Die Unterschiede zwischen der I. Internationale (der Internationalen Arbeiterassoziation, IAA), der II. sozialdemokratischen Internationale und der III. Internationale liegen auf der Hand. Die 1864 gegründete IAA war eine Sammlung von britischen Gewerkschaften und unterschiedlichen (Arbeiter/innen/-) Organisationen, die eher losen Vereinigungen als Parteien in unserem heutigen Sinn entsprachen. Der IAA fehlte eine verbindliche gemeinsame Programmatik, auf den Kongressen wurden jedoch wichtige Texte zu begrenzten Problemen angenommen, und der Generalrat sicherte eine grundlegende Solidarität bei unmittelbaren Klassenaktionen wie Streiks.

Der Gründung der Zweiten Internationale (1889) waren ausführliche Verhandlungen vorausgegangen, allerdings konnte sich die sozialdemokratische Internationale bereits auf in den Massen verankerte Parteien stützen, die hinter sich oft auch starke Gewerkschaften wussten. Allerdings war auch sie keine zentralisierte Internationale – das 1900 ins Leben gerufene Internationale Sozialistische Büro war nicht mehr als ein Koordinierungsorgan, und die Kongresse ähnelten diplomatischen Treffen, denen die mächtigsten Parteien, allen voran die deutsche Sozialdemokratie, ihren Stempel aufdrücken konnten; die Zweite Internationale war letztlich eine Föderation unabhängiger nationaler Parteien.

Im Unterschied dazu wurde die Dritte, die Kommunistische Internationale auf einem klar marxistischen Programm gegründet. Und sie umfasste nicht mehr wie die II. Internationale die große Bandbreite der sich auf die – wie auch immer interpretierte – marxistische Tradition beriefen, sondern nur den explizit revolutionären, linken Flügel der organisierten Arbeiter/innen/bewegung. Zwei weltgeschichtliche Ereignisse prägten dabei die Gründung der neuen Internationale im Frühjahr 1919: Das Versagen und der Verrat der Zweiten Internationale von August 1914, und die Russische Oktoberrevolution von 1917.

Komintern, Teil 1: Die Gründung

Komintern, Teil 2: Der Aufstieg

Komintern, Teil 3: Niedergang und Auflösung

August 1914 – Oktober 1917

Am Stuttgarter Kongress der sozialdemokratischen Internationale von 1907 wurde einstimmig eine Resolution angenommen, in der sich die Arbeiter/innen/parteien verpflichteten, im Falle eines drohenden Krieges alles zu tun, um ihn zu verhindern. Falls der Krieg jedoch trotz alledem ausbrechen sollte, wurde es als Pflicht aller Parteien definiert, für dessen rasche Beendigung einzutreten und die durch den Krieg herbeigeführte politische und wirtschaftliche Krise dazu zu benützen, um das Volk aufzurütteln und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.

Als der Krieg Ende Juli/Anfang August 1914 dann jedoch wirklich ausbrach, stellten sich fast alle Parteien der Zweiten Internationale auf die Seite ihrer Regierungen und unterstützten deren Kriegspolitik. Statt des von der Internationale immer wieder beschworenen proletarischen Internationalismus wurden Kriegskredite bewilligt, eine Burgfriedenspolitik proklamiert und der eigenen Regierung angesichts der Bedrohung von außen der Rücken im Inneren freigehalten.

Abgesehen von einzelnen Parteien wie den Bolschewiki, der serbischen Sozialdemokratie oder den „engherzigen Sozialisten“ Bulgariens und kleinen internationalistischen Minderheiten in anderen Parteien kapitulierten die Partei- und Gewerkschaftsführungen – die Zweite Internationale war entlang ihrer nationalen Grenzen zerfallen. Die internationale Arbeiter/innen/bewegung war bereits 1914 von denen gespalten worden, die immer die „Einheit“ im Munde führten und diese „Einheit“ dann einige Jahre später auch gegen die Kommunistischen Parteien beschwören sollten.

Revolutionär/inn/e/n wie Lenin, Luxemburg oder Trotzki erkannten bereits 1914, dass die II. Internationale mit ihrem Verrat von 1914 auseinander gebrochen war und sich selbst den Todesstoß gegeben hatte – so erklärte Lenin schon bald nach Kriegsausbruch: „Die Zweite Internationale ist tot, vom Opportunismus besiegt. Nieder mit dem Opportunismus; es lebe die nicht nur von den ‚Überläufern’ (…), sondern auch vom Opportunismus gesäuberte III. Internationale!“

Lenin definierte dabei die Hinterlassenschaft der untergegangenen Zweiten und die Aufgaben der neuen Dritten Internationale wie folgt: „Die II. Internationale hat ihr Teil an nützlicher Vorarbeit geleistet, um die proletarischen Massen zunächst während der langen ‚friedlichen’ Periode härtester kapitalistischer Sklaverei und raschesten kapitalistischen Fortschritts im letzten Drittel des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts zu organisieren. Der III. Internationale steht die Aufgabe bevor, die Kräfte des Proletariats zum revolutionären Ansturm gegen die kapitalistischen Regierungen zu organisieren, zum Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie aller Länder für die politische Macht, für den Sieg des Sozialismus!“

Auch Trotzki proklamierte bereits unmittelbar nach Kriegsausbruch die historische Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Internationale. Auch für ihn konnte diese nicht voraussetzungslos entstehen:

„Der Zusammenstoß zwischen der nationalistischen Tendenz und den Problemen des Internationalismus, beide der Entwicklung des Imperialismus entgegengestellt, verursachte den Selbstmord der II. Internationale. (…) Nur die Entfachung einer revolutionären sozialistischen Bewegung, die gleich einen stürmischen Charakter wird annehmen müssen, kann das Fundament für die neue Internationale legen. Sie wird den Weg zu einem hartnäckigen inneren Kampf eröffnen, der die alten Elemente beseitigen, die Basis für den Sozialismus verbreitern und ihre politischen Ziele revidieren wird. Wie auch immer, man wird den Sozialismus nicht von vorn beginnen können. Die III. Internationale wird geistig der Erbe der I. sein, jedoch mit den durch die II. Internationale herbeigeführten Änderungen.“

Langsam gelang es, während des Weltkrieges die proletarischen Internationalist/inn/en wieder zu sammeln. Politisch nicht einheitlich, setzten doch die Konferenzen von Zimmerwald (September 1915) und von Kienthal (April 1916), vorher bereits die Internationale Sozialistische Frauenkonferenz (März 1915) und die Internationale Sozialistische Jugendkonferenz (April 1915) deutliche Zeichen, dass nicht alle Tendenzen der Arbeiter/innen/bewegung bereit waren, sich kritiklos dem Diktat von Burgfrieden und nationalem Schulterschluss unterzuordnen.

Die erste Voraussetzung für die Gründung der neuen Internationale war also der Verrat der Zweiten Internationale, die im Angesicht des Donners von Kanonen vor dem nationalistischen Hurra-Patriotismus kapituliert hatte.

Die zweite Voraussetzung war der Sieg der russischen Revolution von 1917. Während die Bolschewiki nach dem Februar 1917 die alte Parole der demokratischen Diktatur weiterführten, gelang es dem aus dem Exil zurückgekehrten Lenin in einem zähen Kampf, die Partei auf eine Politik des Aufbaus einer proletarischen Demokratie umzuorientieren. In den April-Thesen von 1917 definierte Lenin als 10. Punkt auch die Aufgabe der Erneuerung der Internationale: Die Bolschewiki sollten die „Initiative zur Gründung einer revolutionären Internationale, einer Internationale gegen Sozialchauvinisten und gegen das ‚Zentrum’“ ergreifen.

Und im Mai 1917 konkretisierte Lenin die Aufgabe der Bolschewiki folgendermaßen: „Die Lage unserer Partei – gegenüber allen Arbeiterparteien der ganzen Welt – ist jetzt so, dass es unsere Pflicht ist, unverzüglich die III. Internationale zu gründen. Außer uns gibt es jetzt niemand, der das jetzt tun könnte, und jeder Aufschub ist schädlich.“ Lenin ist dabei zweifellos Recht zu geben: Die Bolschewiki waren durch ihre klare Politik in der Kriegsfrage zur Avantgarde der internationalen Revolution geworden.

Zwischen Lenins Erklärung und der Realisierung der Aufgabe liegen nochmals fast zwei Jahre – zwei Jahre, die die Weltsituation dramatisch verändern sollten: Die Oktoberrevolution 1917 führte zu einer politischen und wirtschaftlichen Umwälzung in Russland sowie zum Aufbau der ersten Sowjetrepublik. Sie war auch der Ausgangspunkt einer revolutionären Welle, die in den kommenden Jahren nicht nur die morsche Habsburgermonarchie und das deutsche Hohenzollernreich hinwegfegen, sondern die auch Europa einen revolutionären Aufschwung bescheren sollte, der immer wieder in dem Ruf, es ebenfalls „russisch machen“ zu wollen, gipfelte. Die russische Revolution erleichterte also den Prozess der Loslösung der revolutionären Strömungen von den rechten sozialdemokratischen Führungen, die nun, nachdem chauvinistischer Taumel und Kriegsbegeisterung verflogen waren, sich wieder an die Spitze der proletarischen Bewegungen setzen wollten, als ob mit ihrem Verrat nichts Entscheidendes geschehen wäre.

Den Bolschewiki gelang es in diesen beiden Jahren bis zum März 1919 – trotz Blockade und beginnender imperialistischer Intervention –, nicht nur unter den Kriegsgefangenen Mitstreiter zu finden, die zum Kern mehrerer nationaler kommunistischer Parteien werden sollten, sondern auch mit dem russischen Beispiel Einfluss auf die Entwicklung der Arbeiter/innen/bewegung vieler europäischer und auch außereuropäischer Länder zu nehmen und der revolutionären Gärung ein klares Ziel und eine klare Aufgabe zu stellen – den Sturz der kapitalistischen Gesellschaft und den Aufbau einer sozialistischen Räterepublik, als Teil einer internationalen Föderation sozialistischer Arbeiter/innen/republiken.

In „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky“ fasste Lenin das Ziel, aber auch die Methoden der neuen Internationale zusammen: „Der Bolschewismus hat die ideologischen und taktischen Grundlagen für die III. Internationale, die wirklich proletarische und kommunistische Internationale, geschaffen, die sowohl die Errungenschaften der friedlichen Epoche berücksichtigt als auch die Erfahrungen der bereits ausgebrochenen Epoche der Revolutionen. Der Bolschewismus hat die Idee der ‚Diktatur des Proletariats’ in der ganzen Welt popularisiert. (…) Der Bolschewismus hat in der Tat die Entwicklung der proletarischen Revolution in Europa und Amerika so stark gefördert, wie das bisher keiner einzigen Partei in keinem anderen Lande gelungen ist. (…) Der Bolschewismus eignet sich als Vorbild der Taktik für alle.“

Die neue Internationale war also das kombinierte Ergebnis von zwei Erfahrungen: der Erfahrung des sozialdemokratischen Bankrotts im August 1914 und der einer siegreichen proletarischen Revolution in Russland, deren Grundaxiome – bei allen aufgrund der konkreten Situation notwendigen Modifikationen – mit Recht als Vorbild für revolutionäre Taktik auch in anderen Teilen der Welt gesehen werden konnte. Und trotz der schwierigen Situation, in der sich die russische Revolution befand, setzten die Bolschewiki, sobald es möglich war, auch konkrete Schritte hin zur formellen Proklamation der neuen Internationale.

März 1919: Gründungskongress der Komintern

Faktisch bestand in ihrem Kern eine neue Internationale von Parteien und Strömungen, die sich am Beispiel der russischen Revolution orientierten, bereits vor dem März 1919. Sie war das Ergebnis des Zusammenflusses mehrerer Einzelelemente: Erstens natürlich des faktischen Zentrums der Revolution, der russischen Revolution und der siegreichen Bolschewiki.

Zweitens die Parteien der formell selbständigen Sowjetrepubliken, die auf dem Boden des ehemaligen Zarenreiches entstanden waren und unter einem starken, mehr oder weniger direkten bolschewistischen Einfluss standen. Schon Ende 1917 wurde der All-Ukrainische Sowjetkongress gegründet, 1918/1919 die Weißrussische Sowjetrepublik, um nur zwei Beispiele zu nennen. Im Laufe des Bürger/innen/- und Interventionskrieges wurden immer wieder neue, oft nur kurzlebige Räterepubliken gegründet, deren Führungen stark von der bolschewistischen Partei beeinflusst, wenn nicht oft sogar direkt initiiert waren.

Drittens wurden von ehemaligen Kriegsgefangenen, die sich der russischen Revolution angeschlossen hatten, eigene nationale Sektionen gegründet, die im Gründungsprozess der Komintern noch eine wichtige Rolle spielen sollten. Viertens hatten sich bis Jahresende 1918/1919 bereits mehrere Kommunistische Parteien gebildet und offiziell einen Trennungsstrich zur Sozialdemokratie gezogen: in Finnland (29. August 1918), in Österreich (3. November 1918), in den Niederlanden (17. November 1918), in Ungarn (24. November 1918), in Polen (16. Dezember 1918) und zum Jahresende – die wohl politisch wichtigste der hier angeführten Neugründungen – in Deutschland (31. Dezember 1918).

Und fünftens bestanden in einer ganzen Reihe weiterer Länder Parteien mit starken kommunistischen (bzw. genauer: mit dem Bolschewismus sympathisierenden) Flügeln, so etwa in Bulgarien, Schweden, dem neu gegründeten SHS-Staat (dem späteren Jugoslawien) oder Griechenland.

Im Januar 1919 fand in Moskau eine internationale Beratung statt, in der der Beschluss gefasst wurde, in allernächster Zeit einen Gründungskongress der neuen Internationale durchzuführen. Der Aufruf vom 24. Januar 1919 wurde unterzeichnet von den Vertretern von acht Parteien: dem Zentralkomitee der Russischen Kommunistischen Partei mit Lenin und Trotzki, dem Auslandsbüro der Kommunistischen Arbeiterpartei Polens, dem Auslandsbüro der Kommunistischen Arbeiterpartei Ungams, dem Auslandsbüro der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutsch-Österreichs, dem Russischen Büro des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Lettlands, dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Finnlands, dem Exekutivkomitee der balkanischen revolutionären sozialdemokratischen Föderation mit Rakowski und der S.L.P. der USA. In den zentralen Passagen des Aufrufes wurden die Gründe für die Einberufung des Kongresses benannt:

„Die riesenhaft schnelle Vorwärtsbewegung der Weltrevolution (…), die Gefahr der Erstickung dieser Revolution durch das Bündnis der kapitalistischen Staaten (…), die Versuche der sozialverräterischen Parteien, sich miteinander zu einigen und (…) ihren Regierungen und ihrer Bourgeoisien nochmals zum Betrug der Arbeiterklasse zu verhelfen; endlich die bereits erworbene außerordentlich reiche revolutionäre Erfahrung und die Internationalisierung der ganzen Revolutionsbewegung – alle diese Umstände zwingen uns, die Initiative zu ergreifen, um die Frage der Zusammenberufung eines internationalen Kongresses der revolutionären proletarischen Parteien auf die Tagesordnung zur Diskussion zu stellen.“

Der Kongress selbst konnte nicht, wie die Bolschewiki ursprünglich geplant hatten, in Deutschland oder den Niederlanden abgehalten werden, sondern musste im von der imperialistischen Blockade abgeriegelten Russland stattfinden. Der Kongress selbst wurde am 2. März 1919 eröffnet und konnte am 6. März mit dem formellen Beschluss der Gründung einer Kommunistischen internationale abgeschlossen werden.

Allerdings war der Kongress – selbst für die bereits mit der russischen Revolution sympathisierenden Strömungen – alles andere als repräsentativ: Letztlich waren unter den 51 anwesenden Delegierten lediglich drei, die die imperialistische Blockade durchbrechen konnten und die Organisationen ihrer jeweiligen Länder auch wirklich repräsentieren konnten: Der Deutsche Hugo Eberlein („Albert“ im Protokoll des Gründungskongresses), der Schwede Otto Grimlund und der Österreicher Karl Steinhardt („Gruber“).

Besonders schwer sollte wiegen, dass die wichtigste Partei außerhalb Russlands, die deutsche Partei, sich der Proklamation der III. Internationale widersetzte – die Partei, deren Führer/innen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919 der Konterrevolution zum Opfer gefallen waren, wollte mit der formellen Gründung noch zuwarten, bis sich breitere Bewegungen und Strömungen für die neue Internationale ausgesprochen hätten. Das war dieselbe Angst, die etwa auch Clara Zetkin während des Weltkrieges vor einer zu klaren revolutionären Anti-Kriegs-Position zurückschrecken ließ – die Angst, sich vor den Massen zu isolieren.

Alle anderen Teilnehmer sprachen sich für die Gründung der neuen Internationale aus – von der insgesamt richtigen Erkenntnis ausgehend, dass der Kampf um die Diktatur des Proletariats eine einheitliche Organisation auf internationaler Ebene erforderlich mache. Dass diese Orientierung keine Phantasterei war, bewies die Entwicklung der nächsten Wochen und Monate: Die Gründung der ungarischen Räterepublik zeigte ebenso wie die kurzfristigen Räterepubliken des Frühjahrs 1919 in Bayern oder in Norddeutschland das unmittelbare revolutionäre Potenzial des Frühjahrs 1919.

Schließlich wurde am 4. März 1919 von den Vertretern der Kommunistischen Partei Deutsch-Österreichs, der Linken Sozialdemokratischen Partei Schwedens, der Sozialdemokratischen Revolutionären Arbeiterföderation des Balkans und der Kommunistischen Partei Ungarns die Gründung der Kommunistischen Internationale mit der folgenden Resolution beantragt:

„I.            Die Notwendigkeit des Kampfes um die Diktatur des Proletariats erfordert eine einheitliche, geschlossene, internationale Organisation aller kommunistischen Elemente, die auf diesem Boden stehen.

II.            Diese Gründung wird umso mehr zur Pflicht, da augenblicklich in Bern und möglicherweise später auch an anderen Stellen der Versuch gemacht wird, die alte opportunistische Internationale wieder herzustellen und alle unklaren, unentschiedenen Elemente des Proletariats wieder zu sammeln. Deshalb ist es notwendig, eine scharfe Scheidung zwischen den revolutionären proletarischen und den sozialverräterischen Elementen herbeizuführen.

III.           Würde die III. Internationale durch die in Moskau tagende Konferenz nicht begründet, so würde der Eindruck entstehen, dass die Kommunistischen Parteien uneins seien; was unsere Lage schwächen und die Verwirrung unter den unentschiedenen Elementen des Proletariats aller Länder vergrößern würde.

IV.           Die Konstituierung der III. Internationale ist deshalb ein unbedingtes geschichtliches Gebot und muss durch die in Moskau tagende Internationale Kommunistische Konferenz zur Tat werden.“

Der Antrag wurde angenommen, schließlich enthielt sich auch Eberlein nicht nur nicht der Stimme, sodass die Gründung der Kommunistischen Internationale ohne Gegenstimme angenommen werden konnte, sondern er verpflichtete sich auch dazu, in der KPD nach seiner Rückkehr dafür zu kämpfen, dass der Gründungsbeschluss von seiner Partei akzeptiert werden sollte.

Vom Gründungskongress wurden mehrere Dokumente angenommen: die politisch bedeutsamen Thesen zur bürgerlichen Demokratie und zur Diktatur des Proletariats (Lenin), eine Resolution über die Berner Konferenz und die Stellung zu den sozialistischen Strömungen, eine Plattform der neu gegründeten Internationale, Thesen über die internationale Lage und die Politik der Entente, eine Resolution über den weißen Terror und schließlich das von Trotzki verfasste zentrale Manifest des Gründungskongresses. Von Kollontai wurde ein Antrag eingebracht, Frauen an die kommunistischen Parteien heranzuziehen. Die Annahme von Statuten wurde auf den 2. Kongress verschoben.

Vom Kongress wurde ein Exekutivkomitee bestimmt, das wiederum ein aus fünf Mitgliedern bestehendes Büro wählte – die Bolschewiki Lenin, Trotzki und Sinowjew, sowie Rakowski und Platten. Das internationale Zentrum wurde in der konkreten Arbeit schließlich von Sinowjew – mit Unterstützung von Angelica Balabanoff, Victor Serge und Mazine – organisiert.

Der Gründungskongress der Komintern fand unter dem direkten Eindruck der imperialistischen Aggression gegen die junge Sowjetrepublik, aber auch unter dem Eindruck der Hoffnung auf eine unmittelbare Ausdehnung der Revolution auf Westeuropa statt. Diese zeitgebundenen Faktoren waren auch die Ursache für einzelne Ungenauigkeiten und Überspitzungen. Trotzdem kommt dem Gründungskongress der Komintern eine besondere Bedeutung in der Geschichte der revolutionären Bewegung zu. Weder die Gründung der Ersten Internationale (1864) noch der Zweiten (1889) hatten in einer derart zugespitzten und vom Bewusstsein der Unmittelbarkeit der revolutionären Bewegung geprägten Atmosphäre stattgefunden. Der Gründungskongress war im zeitgenössischen Bewusstsein die Quintessenz der soeben stattfindenden Revolution und gleichzeitig die politische Form, in der die künftige Weltordnung vorweggenommen wurde. Lenin fasste die Bedeutung des Ersten Kongresses so zusammen:

„Von Dauer ist in einer Revolution nur das, was die proletarischen Massen errungen haben. Schriftlich festzulegen lohnt nur das, was wirklich für die Dauer errungen ist. Die Gründung der III., der Kommunistischen Internationale in Moskau am 2. März 1919 war die Festlegung dessen, was nicht nur die russischen proletarischen Massen, die Massen von ganz Russland, sondern auch die deutschen, österreichischen, ungarischen, finnischen, schweizerischen, mit einem Wort, die internationalen proletarischen Massen errungen haben. Und eben darum ist die Gründung der III., der Kommunistischen Internationale ein Werk von Dauer.  Noch vor vier Monaten konnte man nicht sagen, dass die Sowjetmacht, die sowjetische Staatsform eine internationale Errungenschaft ist. Es gab darin etwas, und zwar etwas Wesentliches, was nicht nur für Russland, sondern auch für alle kapitalistischen Länder Gültigkeit hatte. Aber bevor noch nicht in der Praxis der Beweis erbracht worden war, konnte man nicht sagen, welcherart, wie tiefgreifend, wie wesentlich die Veränderungen sein werden, die die Weltrevolution in ihrer weiteren Entwicklung mit sich bringen wird. Die deutsche Revolution hat diesen Beweis erbracht. Ein fortgeschrittenes kapitalistisches Land hat – nach einem der rückständigsten Länder – in kurzer Zeit, in etwas mehr als hundert Tagen, der ganzen Welt nicht nur dieselben Hauptkräfte, nicht nur dieselbe Hauptrichtung der Revolution gezeigt, sondern auch dieselbe grundlegende Form der neuen, proletarischen Demokratie: die Räte (…). Die Gründung der III., der Kommunistischen Internationale bedeutet die Vorstufe für die internationale Republik der Sowjets, für den Sieg des Kommunismus in der ganzen Welt.“

Und das von Trotzki verfasste Manifest des Gründungskongresses fasst nochmals den historischen Standort der künftigen Internationale zusammen: „Wenn die Erste Internationale die künftige Entwicklung vorausgesehen und ihre Wege vorgezeichnet, wenn die Zweite Internationale Millionen Proletarier gesammelt und organisiert hat, so ist die Dritte Internationale die Internationale der offenen Massenaktion, der revolutionären Verwirklichung, die Internationale der Tat.“

Es sind diese von Lenin und Trotzki genannten Momente, die für uns heutige revolutionäre Sozialist/inn/en entscheidend dafür sind, dass wir uns politisch in die Tradition des ersten Weltkongresses der Komintern (und darüber hinaus in die der frühen III. Internationale) stellen – die Orientierung auf eine revolutionäre Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft, die Orientierung auf eine internationale Sowjetrepublik.

Die Hoffnungen, die mit der Gründung der III. Internationale verbunden waren, sollten schließlich grausam enttäuscht werden. Die weitere Geschichte der Kommunistischen Internationale bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1943 wollen wir in der Fortsetzung dieses Artikels zusammenfassen.

Teil 2

Die Periode vom Gründungskongress im März 1919 bis zum II. Weltkongress eineinhalb Jahre später (November/Dezember 1920) war charakterisiert vom Bürger/innen/- und Interventionskrieg gegen die junge Sowjetmacht und von einem Andauern der revolutionären Nachkriegskrise. Während es der Sowjetmacht gelang, der Intervention standzuhalten und nachkapitalistische Strukturen zu konsolidieren, erfüllten sich die Erwartungen auf einen unmittelbaren Vormarsch der Weltrevolution nicht: Die bayrische Räterepublik wurde bereits nach wenigen Wochen überrannt, die ungarische Räterepublik musste nach 133 Tagen am 1. August 1919 kapitulieren. In Italien, am Balkan oder in Spanien spitzte sich die revolutionäre Krise aber weiter zu, und auch in den Kolonien und Halbkolonien Asiens, vor allem in Indien, China, dem Iran oder Afghanistan, war unter dem Einfluss der Oktoberrevolution ein Aufschwung der Massenbewegung zu verzeichnen. Die Niederlagen in Bayern und Ungarn bedeuteten also noch nicht das Ende der revolutionären Periode, auch wenn sie Anzeichen dafür waren, dass sich die Hoffnungen auf einen geradlinigen, raschen Vormarsch der Weltrevolution nicht erfüllen würden.

Die Komintern hatte in den Jahren 1919/1920 – in der Periode zwischen den ersten beiden Weltkongressen – mit der imperialistischen Umzingelung der Sowjetmacht zu kämpfen. Ein volles Funktionieren des Exekutivkomitees wurde verhindert, im wesentlichen wurde seine Arbeit durch Aufrufe, Resolutionen oder Anleitungen für die neu entstehenden kommunistischen Parteien wirksam. Um das durch die Belagerung unvermeidliche Kommunikationsmanko zu kompensieren, wurden in Westeuropa Regionalbüros eingerichtet. Das war auch ein Indiz dafür, dass sich die Bolschewiki sehr wohl zweier existierender Gefahren bewusst waren, und dass sie auch einiges leisteten, um hier korrigierend einzugreifen: Erstens der Gefahr, dass die russische Revolution ohne einen Impuls seitens des weiter entwickelten Westens degenerieren müsse. Und zweitens, dass sich durch die Unerfahrenheit vieler Parteiführungen, durch die Dominanz der Bolschewiki in der Komintern und durch die Abhängigkeit der oft nur schwachen kommunistischen Parteien von Moskau der demokratische Zentralismus in der III. Internationale nicht richtig entwickeln könnte. Die Ausdehnung der Revolution auf die weiter entwickelten Länder des Westens wurde korrekt als Lebensfrage für die Existenz und Weiterentwicklung der Sowjetmacht in Russland analysiert.

Zusätzlich ergaben sich Schwierigkeiten mit ultralinken Strömungen, die sich zwar begeistert zur russischen Revolution hingezogen fühlten, jedoch oft nur wenig taktisches Verständnis aufwiesen und keine Bereitschaft zeigten, auf die Arbeiter/innen/massen zuzugehen, die in vielen Ländern jenen Parteien treu geblieben waren, die 1914 so schmählich Verrat geübt hatten. Diese ultralinken Strömungen waren im Bewusstsein der unmittelbar bevorstehenden Ausdehnung der Oktoberrevolution auf den Westen politisch sozialisiert worden und konnten nicht verstehen, dass nun etwa von Sinowjew im September 1919 in einem Rundschreiben die Teilnahme an Wahlen zu bürgerlichen Parlamenten gefordert wurde. Lenin intervenierte in diese Diskussion mit seinem bekannten Werk „Der ‚linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus“, in der er trotz der Perspektive des schnellen Sieges der Weltrevolution für ein taktisches Herangehen an die großen Massenorganisationen des Proletariats warb.

Hintergrund dieser Diskussionen war die Uneinheitlichkeit der Parteien und Bewegungen, die sich der III. Internationale zugehörig fühlten. Oft waren es unerfahrene Minderheitsströmungen der ehemaligen sozialdemokratischen Parteien, die sich als Opposition gegen Opportunismus und Burgfriedenspolitik im Weltkrieg herauskristallisiert hatten und sich nun als Kommunistische Parteien konstituierten. In einigen Ländern bildeten den Kern syndikalistische Tendenzen, in anderen gab es mehrere rivalisierende Kleingruppen, die für sich beanspruchten, die Komintern in ihrem Land zu repräsentieren. In fast allen sozialdemokratischen Parteien entwickelten sich zudem Strömungen, die den Beitritt zur III. Internationale verlangten. In Italien hingegen hatte die alte sozialistische Partei nur wenige Tage nach dem Komintern-Gründungskongress ihren Beitritt zur neuen Internationale erklärt, ohne dass ein systematischer Kampf gegen die starken rechten und zentristischen Strömungen, die innerhalb der Partei verblieben waren, geführt worden wäre.

Im Zentrum des II. Weltkongresses stand daher auch nicht zufällig die Frage, wie sich die III. Internationale zwar einerseits den proletarischen Massen öffnen, wie sie aber andererseits die Eingliederung nicht wirklich revolutionärer Strömungen verhindern könne. Nicht zu Unrecht herrschte die Befürchtung, dass aufgrund des großen Prestiges, das die Oktoberrevolution bis weit in die sozialdemokratischen Parteien hinein und über diese hinaus genoss, sich auch viele dezidiert reformistische oder zentristische Parteiführer/innen der Internationale anschlossen, auch wenn sie gar nicht vorhatten, konsequent mit ihren politischen Ansichten zu brechen. Beispiele dafür, dass auch in großen sozialdemokratischen Parteien mit langer Tradition Überlegungen des Anschlusses an die Komintern angestellt wurden, waren nicht nur die italienische Sozialistische Partei, sondern auch die deutsche USPD oder die französische SFIO.

Die große Diskussion des Kongresses wurde daher auch nicht zufällig um die Bedingungen für den Eintritt in die Komintern geführt. Als Mauer gegen das Eindringen von opportunistischen Strömungen wurden „21 Bedingungen“ formuliert. Die „Reformisten aller Schattierungen“ seien, so gleich die erste Bedingung, „systematisch und unbarmherzig zu brandmarken“. Für „Reformisten und Zentrumsleute“ war von nun an der Beitritt zur Komintern verwehrt. Und um sich gegen jene zu wehren, die den Bruch mit der Sozialdemokratie immer weiter hinauszuzögern gedachten, forderte die Kommunistische Internationale „unbedingt und ultimativ“ die Durchführung des Bruchs in kürzester Frist.

Mit dem Zweiten Weltkongress gelang der neuen Internationale ein entscheidender Schritt in Richtung Vereinheitlichung. Die Bolschewiki und ihre Mitstreiter/innen hatten den notwendigen Bruch mit Politik und Praxis der II. Internationale vollzogen. Aber die Komintern hatte 1919 natürlich nicht voraussetzungslos und beim Nullpunkt begonnen. Sie konnte sich auf die Linke in der Vorkriegssozialdemokratie stützen, übernahm damit aber auch deren Schwächen, die erst in einem langen, geduldigen Prozess überwunden werden konnten. Die größte Schwäche der Linken war deren uneinheitliche politische Physiognomie gewesen, das historische Versäumnis, sich zu einer international vernetzten politischen Strömung zu konstituieren. Kombiniert mit dem Fehlen anerkannter und politisch erfahrener Führer/innen außerhalb Russlands, musste dies zu starken zentrifugalen Tendenzen führen, die nur durch das große Prestige der Oktoberrevolution und der bolschewistischen Führung um Lenin und Trotzki kompensiert werden konnte.

Es gehört zu den großen Leistungen der frühen Komintern, auf eine Vielzahl von taktischen und strategischen Fragen, mit denen die kommunistischen Parteien konfrontiert waren und die in dieser Konsequenz oft zum ersten Mal gestellt wurden, im Allgemeinen richtige Antworten, die auch heute noch zum Arsenal der revolutionären Linken gehören, entwickelt zu haben. Zu diesen Antworten gehört zweifellos die in der nächsten Periode entwickelte Politik der Einheitsfront.

III. Weltkongress

Bereits ein halbes Jahr nach dem II. fand der III. Weltkongress der Komintern (Juni/Juli 1921) statt. Allerdings hatte sich in diesem Halbjahr die Situation stark verändert. Die Stimmung des Kongresses war von einer gespannten Atmosphäre geprägt, die revolutionären Hoffnungen, die die Anfangsjahre charakterisiert hatten, hatten sich nicht erfüllt. Die Folgen waren Niederlagen, erste Austritte, Enttäuschungen und Unsicherheit über den Weg, der nun eingeschlagen werden sollte. Die revolutionären Strömungen hatten sich nicht zu der erwarteten Weltrevolution verdichtet – die Hauptaufgabe des dritten wie auch des vierten Weltkongresses (November/Dezember 1922) bestand darin, auf die veränderte Situation Antworten zu finden, die die Aufrechterhaltung einer revolutionären Perspektive verbanden mit der gebotenen taktische Flexibilität.

Eine besondere Aufgabe kam am III. Weltkongress Leo Trotzki als Referent zum Tagesordnungspunkt „Die wirtschaftliche Weltkrise und die neuen Aufgaben der Kommunistischen Internationale“ zu. Trotzki stand mit seiner wichtigsten Rede, die er vor dem höchsten Gremium der Komintern gehalten haben dürfte, vor einem schwierigen Problem: Viele Genoss/inn/en, die in den Zeiten der revolutionären Nachkriegskrise in der Erwartung einer unmittelbaren Ausdehnung der Oktoberrevolution auf ihre Länder gewonnen worden waren, mussten auf eine Umorientierung vorbereitet werden. Sie mussten auf harte Kämpfe und eine längere Perspektive eingeschworen werden, ohne dass ihr revolutionärer Elan gebrochen würde.

Die Aufgabe der Kommunistischen Parteien bestand für Trotzki jetzt darin, die durch die Offensive des Kapitals geschaffene Situation zu erfassen und in den tagtäglichen Kämpfen aktiv einzugreifen, um auf Grund dieser Kämpfe die Majorität der Arbeiter/innen/klasse zu erobern. „Wir haben noch nicht die Mehrheit der Arbeiterklasse der gesamten Welt für uns. Wir haben aber einen viel größeren Teil, als wir vor ein oder zwei Jahren hatten. Nachdem wir diese Situation auch taktisch analysieren, was eine wichtige Aufgabe des Kongresses ist, müssen wir uns sagen: der Kampf wird vielleicht langwierig sein, wird nicht so fieberhaft, wie es wünschenswert wäre, vorwärts schreiten, der Kampf wird höchst schwierig und opferreich sein.“ Die Aufgabe bleibe nach wie vor, die Revolution vorzubereiten, jetzt gehe es darum, die Majorität der Arbeiter/innen/klasse zu erobern.

 „Momentan müssen die Kommunisten in der Wirtschaftsdefensive auf dem Boden der Krise sich aufs aktivste an allen Gewerkschaften, allen Streiks und allen Aktionen beteiligen, müssen in ihrer Arbeit den inneren Zusammenhang untereinander bewahren und immer als der entschlossene und disziplinierte Flügel der Arbeiterklasse auftreten.“

Die „Linke“ des Kongresses, die sich nach wie vor einer „Offensive“ verpflichtet fühlte, war nicht in der Lage, eine alternative Orientierung zu formulieren und wurde im Laufe des Kongresses immer weiter zurückgedrängt. Die realistische Sicht Trotzkis hatte den Sieg davon getragen. Auch in der Diskussion über die Taktik, die von Karl Radek eingeleitet wurde, war diese nüchterne Einschätzung spürbar.

Hintergrund für diese Debatten war der Rückschlag der Revolution in Deutschland, das zurecht als zentral für die Durchbrechung der Isolation der russischen Revolution eingeschätzt wurde. Im mitteldeutschen Aufstand vom März 1921 (der „Märzaktion“) war eine von der KPD und anderen linken Kräften unterstützte bewaffnete Arbeiter/innen/revolte in der Industrieregion um Halle und Leuna ausgebrochen. Der von der KPD ausgerufene Generalstreik scheiterte und wurde nur in wenigen Gebieten befolgt. Der schlecht koordinierte und isoliert gebliebene Aufstand endete in einer Niederlage und führte zu heftigen internen Auseinandersetzungen in der KPD.

In dieser Diskussion schaltete sich am Weltkongress auch Lenin ein, der unmissverständlich und klar die „Theorie der revolutionären Offensive“ zurückwies: „Wer in Europa, wo fast alle Proletarier organisiert sind, nicht versteht, dass wir die Mehrheit der Arbeiterklasse erobern müssen, der ist verloren für die kommunistische Bewegung, der wird nie etwas dazulernen, wenn er in drei Jahren nach der großen Revolution das noch nicht gelernt hat.“

Letztlich endeten die Diskussionen mit einem Rückzug der „Linken“, die der nüchtern-realistischen Einschätzung der Kräfteverhältnisse und dem Appell an die geduldige Aufbauarbeit nichts entgegensetzen konnte, und einem Bankrott der „Offensivtheorie“. Einstimmig wurde die Resolution zur Taktik angenommen, die deutsche „Märzaktion“ wurde verurteilt. Mit dieser Debatte, die zu den wichtigsten innerhalb der Komintern gehörte, wurde der Weg zur Formulierung der Einheitsfronttaktik frei.

Die historische Aufgabe des III. Weltkongresses war es, unter den Bedingungen einer abebbenden revolutionären Welle und eines sich stabilisierenden Kapitalismus in (West-) Europa eine neue Taktik zu erarbeiten. Jetzt ging es – die reale Politik betrachtet – nicht mehr um die sofortige Bildung von Räten und den unmittelbaren Kampf um die Macht, sondern darum, die Massen für die Komintern und ihre politischen Konzeptionen zu gewinnen. Damit war der III. Weltkongress mit seiner Umorientierung auf eine neue Periode zweifellos ein entscheidender Meilenstein für die Komintern und der für die theoretische Weiterentwicklung wahrscheinlich entscheidende Kongress.

Die kommenden 15 Monate, die den III. und den IV. Weltkongress trennten, unterstrichen die Richtigkeit der Analyse. Die Beschlüsse des III. Weltkongresses waren im Allgemeinen von den kommunistischen Parteien gut aufgenommen worden. Der III. Kongress war von einer Offensive des Kapitals, insbesondere des europäischen, ausgegangen – einer Offensive, die sich während des Jahres 1922 sogar noch beschleunigte und vertiefte. Die relative Stabilisierung des Kapitalismus machte weitere Fortschritte. In Italien hatte die Arbeiter/innen/bewegung im Herbst 1922, nur wenige Wochen vor dem neuen Weltkongress, mit der Machtergreifung des Faschismus eine schwere Niederlage erlitten. Die Hoffnungen der Komintern ruhten jetzt auf Deutschland, dem Land mit der außerhalb Russlands stärksten Kommunistischen Partei. Die endgültige Niederlage der deutschen Revolution im Jahr 1923 – schon nach dem IV. Weltkongress – markierte auch das Ende der revolutionären Nachkriegskrise; eine unmittelbare Machtergreifung in Europa entschwand damit dem unmittelbaren Blickfeld.

Andererseits hatte sich die Sowjetmacht – trotz internationaler Isolierung und der entsetzlichen Dürre von Sommer 1921, die zu einer katastrophalen Hungersnot geführt hatte – gehalten. Die militärische Aggression gegen Sowjetrussland und die Sowjetukraine war zum Stillstand gekommen, der Imperialismus hatte seine Hoffnungen auf einen raschen Zusammenbruch der Räteherrschaft aufgeben und sich auf einen längeren Kampf einstellen müssen. Ja mehr noch: In Sibirien konnte Sowjetrussland seinen Einfluss stabilisieren, die asiatischen Randgebiete des Zarenreiches konnten gewonnen werden. Nach dem II. Weltkongress hatten sich auch im Fernen Osten kommunistische Parteien gebildet, Einfluss und Prestige der Sowjetmacht stiegen in den asiatischen Kolonien und Halbkolonien merklich an. Die Erwartungen, die die Komintern an Deutschland knüpfte, das Weiterbestehen der Rätemacht und die Fortschritte in Asien schienen Indizien dafür, dass die Weltrevolution nicht begraben werden musste, sondern dass die revolutionäre Entwicklung nur einen weniger geradlinigen, weniger einfachen, weniger raschen Gang genommen hatte, als nach der Oktoberrevolution 1917 und nach der Gründung der Komintern 1919 noch erhofft werden konnte.

In dieser Situation einer relativen Stabilisierung verstärkte sich unter den Arbeiter/inne/n das Bedürfnis nach einer gemeinsamen Antwort auf die kapitalistische Offensive. Die proletarische Bewegung hatte sich infolge des Verrats und des Zusammenbruchs der II. Internationale praktisch in allen Ländern in einen reformistischen Flügel und eine revolutionäre Strömung gespalten, mit einem diffusen zentristischen Substrat zwischen diesen beiden Haupttendenzen. Diese Spaltung betraf nicht nur die Parteien, sondern auch die Gewerkschaften und die anderen proletarischen Massenorganisationen.

IV. Kongress: Einheitsfront und Arbeiter/innen/regierung

Auf diese Situation zielte die Taktik der Einheitsfront ab, mit der – auf der Basis der existierenden Spaltung der Arbeiter/innen/bewegung – dem Drang nach Einheit entgegengekommen und eine gemeinsame Kampffront gegen die Offensive des Kapitals initiiert werden sollte. Am 1. Januar 1922 wandten sich die Exekutivkomitees der Komintern und der Roten Gewerkschaftsinternationale, dem Gewerkschaftsverband der III. Internationale, in einem gemeinsamen Appell „Für die proletarische Einheitsfront“ an die Proletarier aller Länder.

„Die Kommunistische Internationale“, so der Text, „hat die Arbeiter, die auf dem Boden der Diktatur des Proletariats, der Sowjets stehen, immer aufgefordert, sich zu selbständigen Parteien zu sammeln; sie nimmt kein Wort zurück von dem, was sie zur Begründung der Bildung selbständiger Kommunistischer Parteien gesagt hat, sie ist überzeugt, dass jeder weitere Tag größere wachsende Massen überzeugen wird, wie recht sie hatte in all ihrem Tun und Handeln. Aber ungeachtet alles dessen, was uns trennt,“ forderte die Komintern nun „alle Arbeiter, ob Kommunisten, ob Sozialdemokraten, ob Syndikalisten, sogar ob christliche oder liberale Gewerkschaftler“ dazu auf, keine weitere Minderung der Löhne zuzulassen. Nun gelte es, „sich zu vereinigen, zu einer gemeinsamen Front gegen die Offensive der Unternehmer“. Die Kommunistische Internationale und die Kommunistischen Parteien wollten daher „geduldig und brüderlich zusammen mit allen anderen Proletariern marschieren, selbst wenn sie auf dem Boden der kapitalistischen Demokratie stehen“.

In den Thesen über die Taktik wurde am IV. Weltkongress diese Methode der Einheitsfront angenommen und mit der Losung einer Arbeiter/innen/regierung, die bereit ist, den Kampf gegen die Macht der Kapitalist/inn/en aufzunehmen, auf die Regierungsebene gehoben. Am Weltkongress wurden die Möglichkeiten für die Anwendung der Einheitsfront und die Grenzen dieser Taktik klar umrissen:

„Während die Kommunisten sich den Prinzipien der Aktion fügen, sollen sie dabei unbedingt das Recht und die Möglichkeit bewahren, nicht nur vor und nach der Aktion, sondern wenn nötig, auch während der Aktion ihre Meinung über die Politik aller Organisationen der Arbeiterklasse ohne Ausnahme zu äußern. Ein Aufgeben dieser Bedingung ist unter keinen Umständen zulässig.“

Letztlich war die von der Komintern formulierte Politik der proletarischen Einheitsfront nichts anderes als die theoretische Verallgemeinerung der Politik der Bolschewiki im Jahre 1917. Prinzip dieser Einheitsfronttaktik war es, alle Arbeitenden und deren Organisationen zum Kampf für ihre unmittelbaren Interessen zu vereinen. Auf dem IV. Weltkongress wurde die Einheitsfront folgendermaßen definiert.

„Die Taktik der Einheitsfront ist das Angebot des gemeinsamen Kampfes der Kommunisten mit allen Arbeitern, die anderen Parteien oder Gruppen angehören, und mit allen parteilosen Arbeitern zwecks Verteidigung der elementarsten Lebensinteressen der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie. Jeder Kampf um die kleinste Tagesforderung bildet eine Quelle revolutionärer Schulung, denn die Erfahrungen des Kampfes werden die Werktätigen von der Unvermeidlichkeit der Revolution und der Bedeutung des Kommunismus überzeugen.“

Damit war natürlich noch ein weiteres Element verbunden: Mit dem Angebot eines gemeinsamen Kampfes sollte die Bereitschaft der reformistischen Arbeiter/innen/führer einem Test in der Praxis unterzogen werden, wie weit sie auch wirklich bereit waren, einen gemeinsamen Kampf um die unmittelbaren Interessen der Arbeitenden zu führen. Sollten sie dazu bereit sein, mussten gemeinsame Kampferfahrungen das Ergebnis sein. Sollten sie dazu jedoch nicht bereit sein – was nach aller Erfahrung nicht unwahrscheinlich war – dann konnten auch reformistisch beeinflusste Arbeiter/innen in der Praxis sehen, wer die proletarische Einheit wirklich unterminieren und dass der Reformismus dazu neigen würde, einen gemeinsamen Kampf zu sabotieren.

Ergänzt wurde die Einheitsfronttaktik wie gesagt durch die Losung der „Arbeiterregierung“. Koalitionen mit bürgerlichen Parteien wurden strikt abgelehnt, statt dessen propagierte die Komintern die Bildung einer Koalition aller Arbeiter/innen/parteien, wobei deren elementarste Aufgaben darin bestehen sollten, „das Proletariat zu bewaffnen, die bürgerlichen, konterrevolutionären Organisationen zu entwaffnen, die Kontrolle der Produktion einzuführen, die Hauptlast der Steuern auf die Schultern der Reichen abzuwälzen und den Widerstand der konterrevolutionären Bourgeoisie zu brechen“.

So angewandt, entsprach die Taktik der Einheitsfront zweifellos den Bedürfnissen der Arbeitenden nach einer einheitlichen Abwehr gegen die Offensive des Kapitals, ohne sich auch nur einen Augenblick den in der Arbeiter/innen/bewegung verankerten opportunistischen Strömungen anzupassen und unterzuordnen. Und sie wies eine über den Kapitalismus hinausreichende Perspektive auf, die von Trotzki und der Vierten Internationale im Übergangsprogramm weiterentwickelt und systematisiert werden sollte.

Mit der Diskussion über die Einheitsfront bildete der IV. Weltkongress die Fortsetzung der Debatten des III. Weltkongresses. Mit der Annahme der Thesen zur Taktik wurde dem theoretischen Fundament der Kommunistischen Internationale ein entscheidender Baustein hinzugefügt. Sicher gab es Unklarheiten und Unsicherheiten bis in die Kreise der Komintern-Führung hinein, so etwa die Position Sinowjews, der in der Arbeiter/innen/regierung weniger eine Verlängerung der Einheitsfront auf die Regierungsebene sah, sondern eher ein populäres Synonym für die Diktatur des Proletariats, oder die in der Praxis nicht unproblematische Übernahme der Methodik der Einheitsfront auf die Ebene der Zusammenarbeit mit bürgerlichen anti-imperialistischen Befreiungsbewegungen. Die Kommunistische Internationale hielt zwar an einer entscheidenden Forderung fest: dass die Klassenunabhängigkeit des Proletariats und der proletarischen Organisationen auch in deren Keimform erhalten bleiben müsse. Doch sie konnte sich auch am IV. Weltkongress zu keiner konsistenten Theorie der kolonialen Revolution durchringen. Zu bedenken ist auch, dass die russische Revolution von 1917 zwar Ausdruck und Ergebnis der permanenten Revolution war, dass eine bewusste Verallgemeinerung dieser Methodik jedoch unterblieb. Das sollte sich in der chinesischen Revolution nur wenig später noch bitter rächen. [zur Frage der Positionierung der Komintern zur Kolonialrevolution und zum Anti-imperialistischen Kampf siehe unsere „Thesen zum Anti-Imperialismus“

Die Einheitsfront jedenfalls bleibt ein Meilenstein in der methodisch-theoretischen Entwicklung der III. Internationale und gehört zu den großen Errungenschaften der proletarisch-revolutionären Programmatik.

Bis 1922 war – trotz aller Rückschläge und Enttäuschungen (wie etwa der am IV. Weltkongress diskutierte Sieg des Faschismus in Italien oder die jüngste Krise der französischen Partei) – die Entwicklung der Komintern eine aufsteigende gewesen. Es war ihr gelungen, innerhalb von nur wenigen Jahren aus anfänglich schwachen Zirkeln und Gruppierungen in einer Reihe von Ländern schlagkräftige Organisationen herauszubilden. Die III. Internationale hatte es auch geschafft, sich eine international anerkannte Struktur zu geben und als revolutionäre Weltpartei zu agieren, die die traditionellen Arbeiter/innen/organisationen im Kampf um die Herzen und Hirne der Arbeitenden herausfordern konnte. Und sie hatte es drittens auch verstanden, die politisch-programmatischen Herausforderungen zu meistern und als Antwort auf die neuen Entwicklungen wie die zu Ende gehende revolutionäre Nachkriegskrise mit der Einheitsfrontpolitik und der Losung der Arbeiterregierung eine im Wesentlichen korrekte Linie zu entwickeln. Nicht zuletzt mit dieser Politik war es der III. Internationale gelungen, 1921/1922 bereits mehrere Millionen Mitglieder in etwa 60 Sektionen zu organisieren.

Die „Wendung ins Unbekannte“

Allerdings sollten in den kommenden Monaten zwei miteinander kombinierte Entwicklungen eintreten, die in ihrer Konsequenz ein Ende dieser aufsteigenden Kurve bedeuteten: Erstens die Entwicklung in Sowjetrussland. Der IV. Weltkongress von November/Dezember 1922 war nicht zufällig auf den fünften Jahrestag der Oktoberrevolution gelegt worden. Die russische Revolution und das aus dieser hervorgegangene proletarische Regime erfreuten sich noch immer überragender politischer Autorität. Doch die internationale Isolierung in einem rückständigen Land, noch verschärft durch einen blutigen Bürger/innen/krieg und die internationale Blockade, mussten unweigerlich ihre Spuren hinterlassen. Ein halbes Jahrzehnt nach der Oktoberrevolution waren die Anzeichen einer Bürokratisierung bereits deutlich sichtbar geworden. Die Konsequenz war eine 1923 ausbrechende Führungskrise vor dem Hintergrund des Machtvakuums um den bereits schwer kranken Lenin.

Zum zweiten aber hatten Lenin und Trotzki ihre internationalen Hoffnungen in ein Voranschreiten der deutschen Revolution gelegt. Mit einer siegreichen Revolution im industrialisierten Deutschland hätte der gordische Knoten aus Unterentwicklung, Isolierung und bürokratischen Deformationen durchschlagen werden können, so die Überlegung. Mit der ruhmlosen Niederlage der deutschen Revolution in der zweiten Jahreshälfte von 1923 musste diese Hoffnung aufgegeben werden, durch einen revolutionären Anstoß von außen die russische Revolution mit neuem Leben zu erfüllen und der Weltrevolution einen neuen Impuls zu geben.

Die Konsequenz der beiden Entwicklungen war eine sich zuspitzende Führungskrise in Sowjetrussland und ein 1923/1924 offen ausbrechender Machtkampf. Das war eine äußerst beunruhigende Entwicklung und bedeutete – um mit dem Linksoppositionellen Victor Serge zu sprechen – für die Komintern eine „Wendung ins Unbekannte“, die mit dem Sieg der Politik des Aufbaus des Sozialismus in einem Land und der Niederlage der proletarischen Internationalist/inn/en um Leo Trotzki enden sollte.

Gemeinsam mit Lenin und Trotzki hatte die Führung der III. Internationale rund um die ersten vier Weltkongresse in den jungen Parteien der Komintern und in Sowjetrussland selber einen beständigen Kampf geführt – für den Schutz und die Weiterentwicklung der Sowjetmacht, und auf internationaler Ebene gegen zentristische Strömungen, die zum Bruch mit den alten sozialdemokratischen Methoden nicht bereit und/oder nicht fähig waren, aber auch gegen die „ultralinken“ Tendenzen, die die revolutionäre Phrase an die Stelle einer realistischen Politik setzte, die die Massen an die Revolution heranführen sollte. Die Periode der ersten vier Weltkongresse der Kommunistischen Internationale gehören daher zum Erbe jeder revolutionär-marxistischen Strömung, ihre Dokumente und ihre Erfahrungen verdienen es, genau studiert und auch neun Jahrzehnte später für die heutige Politik nutzbar gemacht zu werden.

In einem dritten Teil wollen wir die Geschichte des Niedergangs der III. Internationale, ihre Stalinisierung, den Übergang auf die Positionen der Volksfront und ihre schließliche Auflösung im Jahr 1943 verfolgen.

Teil 3

Das Jahr 1923 markierte einen Wendepunkt in der Geschichte Sowjetrusslands bzw. der UdSSR, aber auch einen Wendepunkt für die Kommunistische Internationale. In Russland war die Bürokratisierung von Staat, Gesellschaft und Partei bereits weit fortgeschritten; schon vor dem Tod Lenins im Januar 1924 war der Kampf um die Nachfolge entbrannt. Seit Beginn des Jahres 1923 war die Situation in der Führung der bolschewistischen Partei nicht ganz klar. Mit der sich auf den Parteiapparat stützenden „Troika“ Sinowjew, Kamenjew und Stalin bildete sich eine diffuse Opposition gegen Trotzki, der sich als Führer der Oktoberrevolution und der Roten Armee im Bürgerkrieg nach wie vor großer Beliebtheit erfreute, und letztlich auch gegen den bereits erkrankten und nicht mehr voll handlungsfähigen Lenin.

1923 war aber auch für Deutschland und darüber hinaus für Europa ein Wendepunkt. In Deutschland spitzte sich in diesem Jahr die Krise dramatisch zu. Die Hyperinflation erreichte ihren Höhepunkt, französische und belgische Truppen besetzten das Ruhrgebiet, Herbst 1923 hatte die KPD in Sachsen und Thüringen im Rahmen der Einheitsfrontpolitik ihre grundsätzliche Zustimmung zur Bildung von Arbeiter/innen/regierungen aus KPD und SPD erklärt. Die KPD war aber nicht in der Lage, die außerordentliche Zuspitzung der Lage für sich zu nutzen – mit der Niederlage in Deutschland war die Hoffnung auf eine rasche Ausdehnung der Weltrevolution auf die weiter entwickelten Industrieländer Europas geschwunden. Erschwert wurde die Niederlage in Deutschland noch zusätzlich durch das Desaster des bulgarischen Abenteuers. Im Sommer wurde vom Emissär Kolarow mit Zustimmung des Komintern-Vorsitzenden Sinowjew ein bewaffneter Aufstand vorbereitet, der in einer entsetzlichen Niederlage mit einem Blutbad endete.

1923 war aber auch das Jahr, in der – im Angesicht der Niederlagen der Revolution in Mittel- und Südosteuropa – große Erwartungen in neue Bündnispartner gesetzt wurden. Im Dezember 1923 trat zum ersten Mal in Großbritannien eine von der Labour-Party gestellte Regierung das Amt an. Illusionen in eine durch einen Sieg in Parlamentswahlen an die Regierung gekommene Partei waren die Folge. Nicht weniger opportunistisch waren die Versuche, über eine Sommer 1923 gegründete „Bauerninternationale“ neue Mitkämpfer/innen, so etwa die Kroatische Bauernpartei unter Stjepan Radić, zu gewinnen.

Das alles waren klare Zeichen der Desorientierung in der Kommunistischen Bewegung. Besonderes beunruhigend war aber die Entwicklung in der Sowjetunion selber: Am 21. Januar 1924 war Lenin gestorben, im April wurde der 13. Parteikongress abgehalten. In einer besonderen Sitzung des Zentralkomitees wurde von Lenins Witwe Krupskaja Lenins Testament verlesen, in dem u.a. die Absetzung Stalins verlangt wurde. Entgegen diesen Wünschen wurde schließlich beschlossen, das Testament unbeachtet zu lassen. Obwohl Trotzki, der bis in die letzten Lebensmonate zweifellos Lenins engster politischer Mitstreiter geblieben war, sich in dieser Frage in Schweigen hüllte, war der Parteikongress von Angriffen gegen Trotzki geprägt. In diese Periode fällt auch die Erfindung des „Trotzkismus“, der zum ersten Mal am Parteikongress „verurteilt“ worden war und dem „Leninismus“ bzw. dem „Marxismus-Leninismus“ gegenüber gestellt wurde.

V. Weltkongress

In dieser unklaren Situation wurde der V. Weltkongress der III. Internationale (Juni/Juli 1924) abgehalten. Dessen Aufgaben wären zweifellos eine schonungslose Analyse der Niederlagen der Revolution in Deutschland und Bulgarien, aber auch der Bürokratisierungstendenzen der Sowjetunion gewesen. Doch im Unterschied zu den ersten vier Weltkongressen verhinderte bereits die Kongressregie eine offene Auseinandersetzung über die Ursachen der Niederlagen und die Möglichkeiten für eine neue revolutionäre Politik.

Die Richtung wurde von Sinowjew vorgegeben: Der Kongress stand im Zeichen der so genannten „Bolschewisierung“ der Kommunistischen Parteien und des Kampfes gegen die „Gefahr von rechts“. Die Differenzen in der russischen KP sollten durch einen Rückgriff auf den angeblich eisernen Monolithismus des ursprünglichen Bolschewismus unterdrückt werden, die „Bolschewisierung“ der Kommunistischen Parteien war nichts anderes als der Versuch Sinowjews und Stalins, diesen Monolithismus – gewürzt mit einem Kult Lenins und des Bolschewismus – auf die Sektionen überzustülpen und sie damit unter Kontrolle der russischen Partei zu bringen. Letztlich war diese „Bolschewisierung“ Ausdruck einer Bürokratisierung der Parteien und der Internationale – an die Stelle des demokratischen Zentralismus der Anfangsjahre trat ein bürokratischer Zentralismus, der statt offener Diskussionen Ergebenheitsadressen verlangte, statt demokratischer Entscheidungsfindung Appelle, die von oben an die Basis weitergereicht wurden. Die Beschneidung jeglicher Eigenaktivität und Selbstverantwortung betraf auch spezielle Organisationen wie die Kommunistische Fraueninternationale, deren Strukturen Mitte der 1920er Jahre einer stärkeren Zentralisierung der Komintern im Wege standen.

Das Hauptziel der Einheitsfrontpolitik war nun die Entlarvung der Arbeiter/innen/verräter und nicht mehr das Angebot zu einem gemeinsamen Kampf. Die Sozialdemokratie wurde als Flügel des Faschismus definiert, was bereits auf die spätere Sozialfaschismustheorie hindeutete. Der Weltkongress wurde auch über die Vorgänge in der bolschewistischen Partei, der KPdSU, informiert, die Opposition als „Anziehungspunkt für parteifeindliche Kräfte“ charakterisiert. Ergebnis war eine Resolution über die russische Frage, in der die Opposition verurteilt wurde. Trotzki schwieg zu alledem. Er scheint davon ausgegangen zu sein, dass die Führungsgruppierung in der UdSSR in Kürze auseinander brechen müsse und ein zu früh begonnener Kampf die Troika zusammenschweißen und ihn in der KPdSU und in der Internationale isolieren würde. Trotzki unterschätzte 1924 ganz offensichtlich selbst noch den Grad der Bürokratisierung von Partei und Gesellschaft und ging korrekter Weise nach wie vor auch davon aus, dass die Niederlage der deutschen Revolution nicht das Ende der revolutionären Welle bedeuten müsse, dass zwar die Perspektiven zeitlich sich gedehnt hätten, dass aber der nötige revolutionäre Impuls, der die Sowjetgesellschaft wieder mit neuem Leben erfüllen könnte, nach wie vor Ergebnis der internationalen Revolution sein werde.

Viele Hoffnungen ruhten jetzt auf der Kolonialrevolution. Die Komintern hatte zwar die Notwendigkeit der politischen Unabhängigkeit des Proletariats bestätigt, war in der Frage des Klassencharakters der künftigen Revolution in Kolonialländern unbestimmt geblieben. Ebenso unklar war das Verhältnis zur Bourgeoisie in (halb-) kolonialen Ländern. Seit dem II. Weltkongress wurde ein Bündnis mit einer bürgerlichen Befreiungsbewegung für möglich erachtet. Als Bedingungen dafür wurden festgelegt, dass diese bereit sein mussten, die Unabhängigkeit der proletarischen Partei anzuerkennen und die revolutionäre Organisierung der ausgebeuteten Massen durch die Kommunist/inn/en zuzulassen. Dazu war die große Mehrheit der potenziellen bürgerlichen Bündnispartner freilich nicht bereit.

Im Unterschied zur (ultra) „linken“ Politik, die die Komintern am V. Weltkongress für die industrialisierten Länder Europas favorisierte, war die Politik in den Kolonialländern von einer rechtsopportunistischen Anpassung an die koloniale Bourgeoisie geprägt. Manuilski, der im Namen des Zentralkomitees der russischen KP auftrat, legte sich nicht nur auf eine Zusammenarbeit mit Parteien wie der Goumindang in China fest, sondern wollte die Komintern auch auf die Initiative zur Bildung von bürgerlich anti-imperialistische Parteien und zu einem Block mit der kolonialen Bourgeoisie verpflichtet sehen.

Rechtskurs der Komintern

Was Europa betraf, war das Ergebnis des V. Weltkongresses ein Schwenk nach „links“. Dieser sollte allerdings nicht von Dauer sein. Bereits am 5. Plenum des EKKI, des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, wurde die internationale Lage pessimistischer eingeschätzt als noch im Jahr zuvor. Es gebe Anzeichen für eine „demokratisch-pazifistische Ära“, Sinowjew sah nun in Deutschland deutliche Anzeichen einer Stabilisierung. Kennzeichnend für die künftige Komintern-Politik wurde auch der Umgang mit der eigenen Geschichte – die so andere Linie des IV. Weltkongresses wurde nicht korrigiert, ja die letzten Monate hätten dessen Aussagen, so Sinowjew, sogar „glänzend bestätigt“. Verändert habe sich ausschließlich die objektive Lage. Der Fehler des V. Kongresses war es gewesen, die Niederlage in Deutschland nicht wirklich zur Kenntnis genommen zu haben. Mit dieser Methode, dass sich ausschließlich die Lage verändert habe, die Linie jedoch richtig gewesen sei, verkehrte sich der positive Impuls des 5. Plenums in sein Gegenteil. Denn wenn die Linie immer richtig war und die Ergebnisse zu wünschen übrig ließen, mussten für die Fehler Sündenböcke verantwortlich sein, die die Linie nicht richtig verstanden oder gar sabotiert hatten.

Weiter fortgeführt wurde daher die „Bolschewisierung“ der Kommunistischen Parteien: Fast alle Sektionen lieferten pflichtgemäß und in oft peinlich gleich lautenden Formulierungen die verlangte Verurteilung des „Trotzkismus“. Die „literarische Debatte“, die als Reaktion auf Trotzkis Veröffentlichung seiner dem Oktober 1917 gewidmeten „Lehren der Revolution“ losgetreten wurde, endete mit der politischen Ausschaltung Trotzkis, aber noch nicht mit seinem Parteiausschluss – diesmal begnügte sich die Parteiführung mit einer „allerkategorischsten Verwarnung“.

Mit dem Kampf gegen Trotzki und den „Trotzkismus“ war auch eine Frontstellung gegen die Grundgedanken der permanenten Revolution verbunden. Gemeinsam mit der Einschätzung, dass der Kapitalismus in eine stabilere Phase eingetreten sei, führte dies zu ersten Überlegungen von Bucharin und Stalin, ob der Sozialismus nicht auch in der Sowjetunion alleine aufgebaut werden könne. Bucharins These, dass sich die russische Revolution auch ohne Hilfe des westeuropäischen Proletariats dauerhaft zu halten vermöge, und Stalins Ansicht, dass das von der Bauernschaft unterstützte Proletariat eines siegreichen Landes die sozialistische Gesellschaft aufbauen könne, waren schon deutliche Vorboten der kommenden Theorie.

Dieser Rechtskurs führte zur Demontage der ultralinken Führung in Deutschland und zum Auseinanderbrechen der Troika am 14. Parteitag der KPdSU – Sinowjew und Kamenjew fühlten mit Recht, dass mit denselben Methoden, die sie gegen Trotzki angewandt hatten, der bürokratische Apparat nun auch sie zu Fall bringen würde. Die Troika zerbrach, und Sinowjew, damals noch Komintern-Vorsitzender, beugte sich dem Wunsch der KPdSU-Führung, eine Diskussion über die Vorgänge in der KPdSU vor den Gremien der Komintern nicht zuzulassen.

Das 6. Plenum des EKKI (Februar/März 1926) fand nur zwei Monate nach dem 14. Parteitag statt. Es war wohl symbolisch, dass die Opposition am Plenum ihre Positionen nicht darlegen durfte, während Chu Chan-min, der Vertreter des Zentralkomitees der bürgerlich-nationalistischen Guomindang und Generalissimus der Armee der chinesischen Kanton-Regierung, die Versammlung im Namen des chinesischen Volkes und der Guomindang begrüßen konnte.

Was sich hier bereits andeutete, war der ausgeprägt rechts-opportunistische Kurs der kommenden Monate. Während sich in der russischen Partei eine weit reichende Umgruppierung vollzog – die Troika war auseinander gebrochen, Sinowjew und Kamenjew bildeten mit Trotzki die Vereinigte Opposition –, wurde die Komintern nun von Bucharin (und vom bisher im Hintergrund agierenden Stalin) dominiert.

Der Rechtskurs war nicht nur in England spürbar, wo die Komintern das Anglo-Russische Gewerkschaftskomitee, also die Zusammenarbeit mit der TUC-Führung, auch dann aufrecht erhielt, als diese den Generalstreik und den Streik der Bergarbeiter des Jahres 1926 in die Niederlage geführt hatte. Der Rechtskurs hatte vor allem auf China Auswirkungen.

Mitte der 1920er Jahre war ein revolutionärer Aufschwung in mehreren (halb-) kolonialen Ländern bemerkbar. Dies betraf Indonesien, aber vor allem China, das von besonderer Bedeutung wurde. Die China-Politik war dabei ein entscheidender Prüfstein, denn die Komintern-Führung hatte von Anfang an entscheidenden Einfluss auf die Politik der chinesischen KP. Wir wollen hier nicht in allen Facetten die Politik der Komintern, die die chinesische KP in die blutige Niederlage führte, nachzeichnen. [siehe dazu: Koloniale Frage und Arbeiter/innen/bewegung, Marxismus Nr.22]

Jedenfalls stellte sich hier ganz praktisch die Frage der Zusammenarbeit mit bürgerlich-nationalen Bewegungen, konkret mit der Guomindang. Mitglieder der chinesischen KP traten nicht nur in die Guomindang ein, sowjetische Berater waren auch an der Ausgestaltung der Guomindang und ihres militärischen Armes maßgeblich beteiligt. Die Linksopposition warnte zurecht vor dieser Politik der Anpassung an die nationale Bourgeoisie, wenn auch spät und noch nicht mit einer Perspektive der permanenten Revolution. Sie konstatierte die Notwendigkeit des Austritts aus der Guomindang, was von Stalin, der an der „nationalen Einheitsfront“ festhielt, als Absurdität bezeichnet wurde. Die Unterordnung unter die Kräfte der Bourgeoisie wurde bis zu dem Augenblick aufrechterhalten, als Tschiang Kaischek zum Angriff überging: Im Frühjahr 1927 wurde mit der Vernichtung der Arbeiter/innen/bewegung durch die Guomindang der Revolution das Genick gebrochen. Auch diesmal verteidigte Stalin die Methode, die mit der Unterordnung unter die bürgerlichen Kräfte die Niederlage vorbereitet hatte – die Linie sei richtig gewesen, dass Tschiang Kaischek zum Konterrevolutionär werden würde, sei nicht vorhersehbar gewesen…

Das 8. Plenum des EKKI (Mai 1927) musste sich wohl oder übel mit der von der Führung der Komintern verschuldeten chinesischen Katastrophe beschäftigen. Die Intervention des Vertreters der Jugendinternationale, Vujović, und von Trotzki, der die chinesische Niederlage als direkte Konsequenz der Komintern-Politik bezeichnet hatte, endete mit der Verurteilung der Opposition als „ultralinks-sozialdemokratische Richtung“ und dem formellen Ausschluss der beiden aus dem EKKI. Der nächste Schlag ließ nicht lange auf sich warten: Am 15. Kongress der KPdSU (Dezember 1927) wurden die Ansichten der Opposition als unvereinbar mit einer Parteimitgliedschaft bezeichnet – um den Jahreswechsel begannen die Zwangsverschickungen der Oppositionellen.

Der Komintern kam nur die Rolle zu, die bereits getroffenen administrativen Maßnahmen im Nachhinein abzusegnen. Der bürokratische Flügel der KPdSU um Stalin und Bucharin hatte gesiegt, die Komintern den Sieg zu bestätigen. Für die Linke Opposition bedeutete dies eine Perspektive der Säuberung des Arbeiter/innen/staates von bürokratischen Deformationen, der Reform der KPdSU und eine Reform der Komintern. Die Orientierung auf den Aufbau einer neuen Partei und einer neuen Internationale wurde 1928 von Trotzki noch verworfen. Bis 1933 blieben die Reform von Staat, Partei und Internationale die Hauptpfeiler der Intervention der Linken Opposition.

Der 15. Kongress der KPdSU war eine entscheidende Wende für die Sowjetunion. Die Perspektive des „Sozialismus in einem Lande“ trat an die Stelle der Verpflichtung auf eine sozialistische Weltrevolution. Damit aber war eine – nicht offen kommunizierte – Neubewertung der Rolle der Komintern und der internationalen kommunistischen Bewegung verbunden: Sie hatte immer weniger die Aufgabe eines Transmissionsriemens für die Vorbereitung der internationalen Revolution, sondern immer mehr die eines „Grenzwächters der Sowjetunion“; proletarische Massenbewegungen wurden nun für die diplomatischen Interessen der Kreml-Bürokratie interessant, die Komintern degenerierte zum ausführenden Organ der Eigeninteressen einer abgehobenen Bürokratie.

Die Katastrophe der „dritten Periode“

Innerhalb der kommunistischen Bewegung waren 1928 deutliche Anzeichen für Desorientierung und für ein unbestimmtes Unbehagen zu spüren. Das 9. Plenum des EKKI (Februar 1928) bestätigte pflichtgemäß die Ausschlüsse und Deportationen, aber der Ausgrenzung der Opposition in der UdSSR musste unweigerlich auch eine ebensolche in den einzelnen Komintern-Sektionen folgen. Gleichzeitig machten die innenpolitischen Schwierigkeiten, vor denen die Opposition wegen der Politik der Förderung der reichen Bauernschaft immer gewarnt hatte, einen neuen Kurswechsel in der Sowjetunion erforderlich.

Das 9. Plenum war der Vorbote eines neuerlichen Linksschwenks in der KPdSU und in der Komintern. Dem chinesischen Proletariat wurden der Aufbau von Sowjets und die Vorbereitung eines Aufstandes als unmittelbare Aufgabe dekretiert, gleichzeitig wurde aber am bürgerlich-demokratischen Charakter der Revolution festgehalten. In der Sowjetunion antwortete das bürokratische Regime auf einen Lieferstreik der Großbauern mit Repression und der Vorbereitung einer neuerlichen Wende, die zu einer härteren innenpolitischen Gangart führen sollte.

Um die Reihen zu schließen, entschloss sich die Bürokratie zur Einberufung des VI. Weltkongresses (Juli/September 1928). Er stand im Zeichen einer weit gehenden Umorientierung im Zeichen einer nur nebelhaft umrissenen „dritten Periode“, mit der die zu Ende gehende Stabilität des Kapitalismus verstanden wurde. Leichter fassbar wurde die Umorientierung in einer neuen Haltung gegenüber der Sozialdemokratie – die Sozialfaschismus-Theorie wurde reaktiviert und ausgebaut. Der „rechten Strömung“ innerhalb der Komintern wurde der Kampf mit ideologischen Mitteln, aber auch durch „organisatorische Maßnahmen“ angedroht. Ein schematisches Komintern-Programm wurde angenommen, das die in China angewandte Politik und den Aufbau des Sozialismus in einem Lande kodifizierte. Und natürlich wurden die Beschlüsse des 15. KPdSU-Kongresses mit ihren Maßnahmen gegen die linke Opposition gutgeheißen.

In vielerlei Hinsicht hatte der VI. Kongress Ähnlichkeiten mit dem V. Kongress: Die offiziellen Leiter der Kongresse, Sinowjew und Bucharin, verschwanden bald danach in der politischen Versenkung. Auf beiden Kongressen wurde die Linie geändert, ohne sich Rechenschaft über die vorhergehende Periode zu legen, beide waren bereits bürokratische Veranstaltungen, in denen niemand sicher sein konnte, nicht als Sündenbock für Verfehlungen an den Pranger gestellt zu werden. Allerdings hatte sich das bürokratische Regime innerhalb der Komintern in den letzten Monaten und Jahren stark verändert. Viele Delegierte getrauten sich nicht mehr, ihre Meinung offen zu äußern; einzelne Delegierte wie der US-Amerikaner Cannon und der Kanadier Spector, beschlossen bewusst, auf eine Intervention am Kongress zu verzichten. Sie waren in den Besitz von Dokumenten der Linksopposition gelangt, und beschlossen statt einer nutzlosen, ja gefährlichen Intervention, sich auf die Vorbereitung einer linksoppositionellen Arbeit, die sie nach ihrer Rückkehr vom Kongress aufnahmen, zu konzentrieren.

Knapp nach dem Ende des Kongresses wurde die Rechte Opposition um Bucharin ausgeschaltet, am 10. EKKI-Plenum, das die von ihm repräsentierte Tendenz verurteilte, wurde ihm sogar die Präsenz verwehrt. Gleichzeitig wurden die Maßnahmen gegen die Linksopposition verstärkt – Trotzki wurde Anfang 1929 aus der UdSSR ausgewiesen und bekam Asyl in der Türkei. Gleichzeitig wurde in der Sowjetunion die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft unter Missachtung aller damit verbundenen Opfer vorangetrieben und eine bürokratisch durchgezogene, überhastet beschlossene Industrialisierung im Rahmen des ersten Fünf-Jahres-Plans durchgepeitscht.

Kodifiziert wurden die politischen „Neuerungen“ am 10. Plenum des EKKI, dem wichtigsten Plenum ab Mitte der 1920er Jahre. Der Einfluss Stalins wurde bestätigt, die Zweideutigkeiten und Unbestimmtheiten, die den VI. Weltkongress charakterisiert hatten, beseitigt und die Linie, die die Komintern in den kommenden Jahren befolgen sollte, festgelegt – die Linie, mit der die KPD in die Niederlage vor dem Nationalsozialismus marschieren sollte.

Das 10. Plenum stand ganz im Zeichen des „Sozialfaschismus“. Die Sozialdemokratie, der „Zwillingsbruder“ des Faschismus, sei der gefährlichste Feind, die Aufgabe bestehe in einer „entschiedenen Verschärfung des Kampfes gegen die Sozialdemokratie“ und „besonders gegen ihren ‚linken’ Flügel“. Auch die Gewerkschaften würden einen Prozess der „Sozialfaschisierung“ durchmachen, weshalb die Gründung „roter Gewerkschaften“ auf der Tagesordnung stünde. Die Politik der Einheitsfront wurde „korrigiert“, nur mehr eine „Einheitsfront von unten“ und unter Führung der Kommunistischen Parteien, also die Zusammenarbeit mit sozialdemokratischen Basismitgliedern, nicht jedoch auch die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit ihren Organisationen selbst, sollte in Hinkunft zulässig sein. Ergebnis war eine sektiererische Politik, die auch in den bereits bürokratisch gleichgeschalteten Komintern-Sektionen auf erheblichen Widerstand stieß. Konsequenz war ein Vorantreiben der Stalinisierung der Kommunistischen Parteien mit periodischen Säuberungen unter dem Deckmantel der „Bolschewisierung“, jegliche Parteidemokratie wurde von den Parteibürokratien, deren erstes Kennzeichen ihre unbedingte Loyalität zur Kreml-Führung war, unterdrückt. Der Weg in eine fatale (Selbst-) Isolierung und in eine verheerende Niederlage in Deutschland war vorgezeichnet.

Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 hatte sich in Europa die Krise der kapitalistischen Gesellschaft radikal zugespitzt. In der bürgerlichen Demokratie sahen immer bedeutendere Kapitalfraktionen keine Chance mehr zur Aufrechterhaltung ihrer Macht und setzten auf bonapartistische und faschistische Kräfte. Gefesselt durch die Sozialfaschismustheorie, lehnte die KPD, die wichtigste Kommunistische Partei außerhalb der UdSSR, nicht nur eine Einheitsfront mit der SPD ab, sondern konzentrierte ihre Angriffe auch auf diese. Eine Einheitsfront mit der Sozialdemokratie und anderen Organisationen der Arbeiter/innen/bewegung zur Abwehr der faschistischen Gefahr, wie sie Trotzki gefordert hatte, wurde nach wie vor ausgeschlossen – oder wie es Willi Münzenberg 1932 unumwunden formulierte: Die Theorie, durch eine Einheitsfront unter Einschluss der SPD Hitler den Weg zur Macht versperren zu wollen, „ist die schlimmste, gefährlichste und verbrecherischste Theorie, die Trotzki in den letzten Jahren seiner konterrevolutionären Propaganda aufgestellt hat“.

Mit dieser Politik bewaffnet (besser gesagt: entwaffnet), stand die KPD isoliert der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 gegenüber. Die KPD ging kampflos in die Illegalität – und sie hatte aus der Niederlage nicht nur nichts gelernt, sondern sie übte auch nicht die kleinste Selbstkritik und schürte völlig illusorische Erwartungen in einen raschen Aufschwung der Massenbewegung gegen Hitler, dessen Machtübernahme das Tempo der Entwicklung Deutschlands zur proletarischen Revolution sogar noch beschleunigt habe… Für Trotzki war dies das Ende der KPD, eine neue revolutionäre Partei des Proletariats musste aufgebaut werden. Als die Komintern diese Linie ebenfalls unterstützte, war die unvermeidliche Konsequenz auch in Bezug auf die Kommunistische Internationale endgültig klar: Eine solche Internationale war kein Instrument mehr für die proletarische Revolution, eine neue, die vierte Internationale musste aufgebaut werden!

Die Ergebnisse der „dritten Periode“ waren katastrophal. Der Machtübernahme Hitlers konnte nichts entgegengesetzt werden, die Kommunistischen Parteien waren isoliert, die Kader der Komintern demoralisiert und desorientiert. Und noch etwas musste als Konsequenz konstatiert werden: Die Machtübernahme Hitlers bedeutete eine direkte Bedrohung der Sowjetunion. Angesichts dieser neuen Lage hatte die III. Internationale für die Sowjetbürokratie ihren Nutzen verloren. In Hinkunft sollte die Bürokratie der UdSSR lieber ihre Bündnispartner direkt bei denjenigen  „demokratischen“ Regierungen suchen, die Hitler misstrauisch gegenüberstanden. Die Hoffnung auf die Weltrevolution war geschwunden, die Komintern bei den Versuchen, durch Übereinkommen mit bürgerlichen Regierungen die Existenz der Bürokratie angesichts der faschistischen Bedrohung von außen abzusichern, zu einem Hindernis geworden. War die „dritte Periode“ noch ein gebrochener Reflex auf die weltrevolutionäre Vergangenheit der Kommunistische Internationale gewesen, sollte die Komintern in Zukunft nur mehr ein Schattendasein führen und völlig den außenpolitischen Interessen der Sowjetbürokratie untergeordnet werden.

Der Weg in den Reformismus

Mitte 1934 zog die Sowjetbürokratie – und mit ihr die Komintern-Führung – die Konsequenzen aus der Machtübernahme des Nationalsozialismus. Mit der Kurskorrektur von 1934 wurde ein Schlussstrich unter die unsägliche Politik der „dritten Periode“ gezogen. Die neue Politik war allerdings auf einer schiefen Ebene angelegt, die binnen kurzem zur reformistischen Volksfrontpolitik führen sollte.

In der Sowjetunion hatte sich die bürokratische Macht nach dem Aderlass der Fraktionskämpfe und dem Übergang zu Kollektivierung und Industrialisierung wieder stabilisiert. Auf internationaler Ebene schien auf kurze Sicht die Diktatur Hitlers nicht gefährdet. Andererseits waren um 1934 Anzeichen eines Aufschwungs der Klassenkämpfe bemerkbar: Im Februar 1934 wehrte sich ein Teil der österreichischen Sozialdemokratie bewaffnet gegen den Vormarsch der klerikalfaschistischen Diktatur, in Frankreich kam es zu einem Massenaufschwung im Gefolge eines niedergeschlagenen Staatsstreichs. Aktionsbündnisse und antifaschistische Ausschüsse entstanden, zwar getrennte, aber gleichgerichtete Aufrufe von SP und KP, von CGT und CGTU auf der Ebene der Gewerkschaften für einen Generalstreik Mitte Februar 1934 waren Konsequenz des Drucks der Massen auf gemeinsame Aktionen. Doch im Laufe des Jahres 1934 ging die französische KP-Führung, mit Rückendeckung aus Moskau und der Komintern, einen entscheidenden Schritt weiter: Die Komintern-Führung „empfahl“ eine Ausdehnung des antifaschistischen Bündnisses auf die Parteien der Kleinbourgeoisie und der Bauernschaft, und im Oktober 1934 schlug Thorez der Sozialdemokratischen Partei vor, gemeinsam mit der bürgerlichen Radikalen Partei eine „Volksfront“ zu bilden.

Im  Unterschied zu den vorhergehenden Wendungen führte die neuerliche Kurskorrektur innerhalb der Kommunistischen Parteien kaum zu Widerstand, schwerere Krisen blieben aus. Dies galt auch für die neue außenpolitische Orientierung der Sowjetunion: Nachdem Deutschland 1933 den Völkerbund verlassen hatte, trat die UdSSR 1934 diesem bei, indem sie offen die 6. der 21 Bedingungen des II. Komintern-Weltkongresses verletzte, der jede Kommunistische Partei dazu verpflichtete, sich gegen jegliche ‚demokratische’ Erneuerung des Völkerbundes zu wehren und keinerlei Vertrauen in internationale Abkommen und Schiedsgerichte zu setzen.

Diese neue Politik gipfelte in der Stalin-Laval-Erklärung von 1935, in der Stalin ausdrücklich die nationalen Verteidigungsanstrengungen Frankreichs billigte. In ihrem Gefolge verlangte Stalin von der französischen KP den Verzicht auf jeglichen Antimilitarismus und jeden revolutionären Defätismus in den Ländern wie Frankreich, die mit der Sowjetunion verbündet waren. Die Stalin-Laval-Erklärung und deren (nachträgliche) Billigung durch die Komintern waren ein entscheidender Schritt in Richtung Reformismus. Von Ende der 1920er Jahre bis 1935 hatte die III. Internationale eine Politik verfolgt, die zwar schon von den Interessen der sowjetischen Bürokratie diktiert war, die aber noch einen – zumindest formalen – Bezug auf die Ziele der Weltrevolution beibehalten hatte. Jetzt war die Politik nicht mehr Ausdruck einer mit dem Ziel der Weltrevolution noch nicht im offenen Widerspruch stehenden Linie, wie seit der Bürokratisierung der Komintern in den 1920er Jahren.. Sie war die Konsequenz der Logik des Sozialismus in einem Lande und Ausdruck der Bereitschaft der Stalinbürokratie, zugunsten eines temporären Bündnisses mit imperialistischen Ländern zur Absicherung vor dem aggressiven Faschismus selbst die grundlegendsten Interessen der Arbeiter/innen/bewegung der betroffenen Länder offen und unverhüllt fallen zu lassen.

Die neue Wende von 1935 war nicht einmal mehr formal von einem Gremium der Komintern diskutiert und abgesegnet worden – Stalin traf sich mit dem Minister eines bürgerlichen Staates und schloss mit diesem eine diplomatische Erklärung ab. Die betroffene Partei erfuhr davon wie die übrigen Sektionen der Kommunistischen Internationale aus der Presse. Trotzdem wurde die neue Linie akzeptiert – im Interesse des vorgeblichen Kampfes gegen den Faschismus, im Interesse des Schutzes der Sowjetunion und trotz der damit einher gehenden Klassenkollaboration.

VII. Weltkongress: Volksfront

Der letzte Weltkongress lag schon sieben Jahre zurück, als der VII. Weltkongress (Juli/August 1935) einberufen wurde. Die „dritte Periode“ war bereits zu den Akten gelegt und durch eine Politik der Klassenzusammenarbeit ersetzt worden. Dem Weltkongress war nur mehr die Aufgabe zugewiesen worden, diese Linienänderung formal abzusegnen. Selbst darauf sollte die stalinistische Bürokratie im Falle von auch noch so grundlegenden Wendungen in den kommenden Jahren verzichten.

Wie schon zuvor wurde auch am VII. Weltkongress auf eine Bewertung der zu Ende gegangenen Politik verzichtet. Nicht die „dritte Politik“ war der Fehler gewesen, nur einzelne Repräsentant/inn/en hatten eine fehlerhafte Politik gemacht. Der Personenkult um Stalin hatte sich entfaltet und wurde durch einen ebenso widerlichen Kult um Dimitroff, den „Steuermann der Komintern“, ergänzt.

Zwischen Einheits- und Volksfront wurden keine Unterschiede mehr gemacht, und zum ersten Mal in der Geschichte der Kommunistischen Internationale wurden nun auch Beteiligungen an bürgerlichen Regierungen in imperialistischen Ländern nicht mehr ausgeschlossen. Auch die Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien wurde ausdrücklich gutgeheißen. Ohne jeglichen offenen Widerstand wurde diese entscheidende Umorientierung über die Bühne gebracht, aus der Weltpartei der sozialen Revolution war eine reformistische Kraft geworden, die sich von anderen reformistischen Parteien nur durch ihre besondere Bindung an die Sowjetbürokratie unterschied. Ohne ein Zeichen des Widerstandes hatte die Komintern auch nach außen hin ihren revolutionären Charakter abgelegt.

Das sollte sich am Beispiel der französischen Volksfront zeigen, wo eine Massenbewegung zugunsten eines bürgerlichen Reformprogramms verkauft wurde, oder an der spanischen Revolution, wo die Begrenzung einer Revolution auf den Kampf zwischen Faschismus und bürgerlicher Demokratie katastrophale Konsequenzen zeitigte. Trotz des Enthusiasmus der spanischen Arbeiter/innen/klasse und der internationalen Brigaden war angesichts einer Bewegung, die bereits den Rahmen der bürgerlichen Demokratie gesprengt hatte, diese Begrenzung besonders fatal und musste zur Konfrontation des Stalinismus mit den revolutionären Kräften und zur Niederlage der Revolution führen.

Für die Sowjetbürokratie war die Politik der Volksfront nur zu logisch: Ihre Politik war der Erhaltung des Status quo verpflichtet und an die Stelle des Aufbaus einer Weltrepublik der Arbeiter/innen/räte getreten. Die imperialistischen Staaten, die sich ebenfalls dem Status quo verpflichtet fühlten, mutierten so zu Bündnispartnern, diejenigen, die den Status quo störten, zu den Feinden, gegen die das „Friedenslager“ mobil machen müsse.

Am VII. Weltkongress wurde zwar noch ein Exekutivkomitee gewählt, das allerdings in den acht Jahren, die der  Komintern noch verblieben, kein einziges Mal zusammengerufen wurde – wozu auch, die Linie wurde ohnehin von der Sowjetbürokratie vorgegeben… In der öffentlichen Wahrnehmung trat die Kommunistische Internationale immer weiter zurück: Nach dem VII. Weltkongress wurden publizistisch wirksame Aufrufe fast nur mehr zum Ersten Mai und zum Jahrestag der Oktoberrevolution von 1917 herausgebracht.

Die kommenden Jahre waren davon geprägt, dass in den Augen der Sowjetbürokratie die Komintern immer mehr als störender Faktor empfunden wurde. Sie war bei diplomatischen Bündnissen mit bürgerlichen Regierungen eher im Wege als ein hilfreiches Element, mit dem Niedergang der Kommunistischen Parteien waren diese auch als Druckmittel weniger geeignet als noch einige Jahre zuvor.

Überdies gerieten nun viele Komintern-Funktionäre in den Strudel der Moskauer Prozesse. Und so wurden nicht nur die Linksopposition und andere der Bürokratie potenziell gefährliche Strömungen in- und außerhalb der KPdSU liquidiert, sondern auch der Apparat der Kommunistischen Internationale war im Fadenkreuz der stalinistischen Säuberungen. Sinowjew, Bucharin, Radek, Pjatnitzki, Kamenjew, Rakowski und Trotzki, Platten, Vujović, Gorkić, Bela Kun, Eberlein, Remmele, Neumann waren nur einige wenige derjenigen, die in der kommunistischen Bewegung einst herausragende Positionen eingenommen hatten und nun mit dem Leben für monströse Beschuldigungen büßten. Nach und nach erfasste die Repression immer weitere Teile des Apparats der Komintern, griff über auf Übersetzer/innen, Sekretär/inn/e/n, Referent/inn/en, Emmissäre, Student/inn/en der speziellen Universitäten für die Völker des Ostens usw. Sommer 1938 wurde gleich die gesamte Kommunistische Partei Polens für aufgelöst erklärt und 1937/1938 mindestens 700 polnische Parteimitglieder hingerichtet oder kamen in sowjetischen Lager um – der Beschluss zur Auflösung wurde weder in der Zeitschrift der Kommunistischen Internationale noch in der Internationalen Pressekorrespondenz publiziert.

Die letzten Jahre

Die Volksfrontpolitik hatte zu einer immer weiteren Anpassung an bürgerliche Bündnispartner/innen geführt. kommunistische Parteien wurden aufgelöst, in breite antifaschistische Bündnisse integriert, Propaganda und Agitation, die über die kapitalistische Gesellschaft hinauswiesen, immer weiter zurückgestellt.

Die sterile Politik der Komintern erschöpfte sich in seltenen Stellungnahmen, selbst zur Münchner Konferenz, die zur Zerstückelung der Tschechoslowakei führte, oder zum Anschluss Österreichs an das faschistische Deutschland wurde keine Erklärung der Kommunistischen Internationale veröffentlicht. Wer zwischen den Zeilen lesen konnte, musste bemerken, dass Stalin am 18. KPdSU-Kongress (März 1939) einen etwas anderen Ton anschlug: Neben dem deutschen Faschismus waren vor allem die Angriffe auf Großbritannien und Frankreich, die das Münchner Abkommen ermöglicht hätten und Deutschland zu einem Angriff auf die Sowjetunion ermutigen würden, bemerkenswert. Trotzdem schlug für die Kommunistische Internationale und ihre Sektionen die Nachricht, dass Stalin mit Hitler im August 1939 einen Nichtangriffspakt abgeschlossen hatte, wie eine Bombe ein. Auch hier war das Ziel des Abkommens vom Interesse der Sowjetbürokratie, Zeit zu gewinnen im Angesicht der nationalsozialistischen Bedrohung, diktiert. An sich wäre ein Bündnis, um Aufschub zu bekommen und sich für einen Angriff besser rüsten zu können, nicht prinzipiell abzulehnen. Aber der Hitler-Stalin-Pakt mit seinen noch nach Jahrzehnten geleugneten geheimen Zusatzprotokollen ermöglichten Hitler den Überfall auf Polen und Stalin den Krieg gegen Finnland und die Inbesitznahme Ostpolens sowie der baltischen Staaten. Insofern war der Pakt Ausdruck einer zumindest indirekten Komplizenschaft, die auch durch eine entsprechende Propaganda gegen die westlichen „Plutokratien“ und die Zurücknahme der politischen Kritik am Nationalsozialismus abgesichert wurde.

Trotzki charakterisierte diese Politik mit den folgenden Worten: „Nach fünf Jahren primitivster Kriecherei vor den Demokratien, in denen der ganze ‚Kommunismus’ zu der monotonen Anklage gegen faschistische Aggressoren reduziert wurde, entdeckte die Komintern plötzlich im Herbst 1939 den kriminellen Imperialismus der westlichen Demokratien. Ganze Abteilung links! Von da an kein einziges Wort der Anklage zur Vernichtung der Tschechoslowakei und Polens, zur Beseitigung Dänemarks und Norwegens und zu den schockierenden Bestialitäten der Hitlerbande gegenüber dem polnischen und jüdischen Volk! Hitler wurde als ein friedliebender, ständig von den westlichen Imperialisten provozierter Vegetarier verstanden. In der Komintern-Presse bezog man sich auf die englisch-französische Allianz als den ‚imperialistischen Block gegen das deutsche Volk’. Goebbels selbst hätte sich das nicht besser ausdenken können!“

Die III. Internationale war zu dieser Zeit nicht mehr als ein Schatten ihrer selbst. Selbst zum Beginn des Zweiten Weltkriegs schwieg die Komintern. Und auch der traditionelle Aufruf zum 1. Mai 1941 sollte ausfallen. In den Kommunistischen Parteien herrschte Verwirrung, herbe Mitgliederverluste waren die Folge  des Paktes. Erst mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 kehrte die Stalin-Bürokratie wieder zu ihrer Politik der Volksfront und zur Zusammenarbeit mit den „antifaschistischen Demokratien“ zurück.

Eine letzte Wendung der Komintern war die Folge des deutschen Überfalls auf die UdSSR: Die Kommunistischen Parteien hatten sich nun ohne Vorbehalte in den Dienst der Regierungen zu stellen, die mit der Sowjetunion verbündet waren. Der revolutionäre Kampf für eine neue Gesellschaft, der revolutionäre Sturz der kapitalistischen Gesellschaft, wurde nun komplett zurückgestellt – die KP der USA forderte z.B. die Schwarzen Amerikas auf, den Kampf gegen die Rassenunterdrückung solange einzustellen, bis der Kampf gegen den Faschismus gewonnen sei, die Kommunistischen Parteien in den Kolonien – von Indien bis Algerien – verzichteten bis auf weiteres auf jeden Kampf für die Befreiung…

Die Kommunistischen Parteien konnten mit dieser opportunistischen Linie und ihrer völligen Unterordnung unter die Kriegsziele der Anti-Hitler-Koalition einen Teil des Einflusses wieder zurückgewinnen, den sie zur Zeit des Hitler-Stalin-Paktes verloren hatte, aber die in der Komintern herrschende Lähmung konnte nicht mehr beseitigt werden. Angesichts der näher rückenden Invasionstruppen war der Apparat der Komintern von Moskau nach Ufa verlegt worden – die Hauptaufgaben der Funktionäre waren nun die Gestaltung von Rundfunksendungen, die nach Vorgaben der Sowjetbürokratie in den verschiedenen Sprachen gesendet wurden.

Ein ruhmloses Ende

Die III. Internationale hatte für die stalinistische Bürokratie jede Bedeutung verloren, ja sie war in ihrer Anpassung an die bürgerlichen Bündnispartner zu einem Störfaktor geworden. So kündete am 15. Mai 1943 ein Telegramm aus Moskau an, dass das Exekutivkomitee der Komintern deren Auflösung mit Juni 1943 vorschlage. Selbst Führer/innen von Kommunistischen Parteien, die nicht im EKKI vertreten waren, erfuhren von diesem Beschluss wie alle anderen aus der Presse oder aus dem Rundfunk – und es besteht wohl kein Zweifel, dass der Beschluss nicht das Ergebnis von Überlegungen des EKKI war, sondern direkt dem innersten Zirkel der Kreml-Bürokratie entsprungen war. Der Beschluss war von Stalin als freundliche Geste gegenüber den kapitalistischen Alliierten die Komintern gedacht und wurde auch als solcher verstanden.

Öffentlich kommuniziert wurde als Hauptgrund für die Auflösung, dass sich die Organisationsform der Komintern überlebt habe und zu einem Hindernis für die weitere Stärkung der nationalen Arbeiterparteien geworden sei. Denn die Lösung der Aufgaben der Arbeiterparteien jedes einzelnen Landes durch die Kraft irgendeines internationalen Zentrums stoße auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Und in einem Interview vom 28. Mai präzisierte Stalin: Die Auflösung der Komintern sei klug, denn sie decke die Lüge auf, dass sich Moskau in das Leben anderer Länder einzumischen versuche. Jetzt gehe es um den gemeinsamen Angriff aller von der Freiheit begeisterter Länder.

Letztlich war die Auflösung das notwendige Ergebnis einer Politik des Sozialismus in einem Lande, die sich nicht mehr der Weltrevolution, sondern den abgehobenen Interessen der bürokratischen Schicht eines einzelnen Landes verpflichtet fühlte. Für die Stalinbürokratie hatte die Auflösung der Komintern den großen Vorteil, dass sie sich von der Last eines für sie nicht mehr nützlichen Instruments befreien und gleichzeitig den Zugriff auf die Kommunistischen Parteien sogar noch verstärken konnte – auf jede einzelne Partei konnte nun auf bilateraler Ebene Einfluss genommen werden, mit dem Prestige der bolschewistischen Partei und des Landes, das die Hauptlast im Kampf gegen Hitler zu tragen hatte.

Die Kommunistische Internationale war als Instrument gegründet worden, um dem Kampf für die Weltrevolution einen organisatorischen Rahmen zu geben. Sie war Ausdruck des proletarischen Internationalismus und vom Willen beseelt, alles für die Errichtung einer Weltrepublik der Arbeiter/innen/räte zu tun. Die Komintern hat uns darüber hinaus einen reichen Schatz an politischer Strategie und Taktik hinterlassen, an der wir auch heute noch anknüpfen können.

Grundverschieden davon war die Komintern in ihrer Niedergangsphase – sie war im Prozess der Degeneration sowohl Täterin als auch Opfer: Sie war das Instrument, über das die Bürokratie der Sowjetunion die „Bolschewisierung“ der Kommunistischen Parteien vorantrieb und über das sie den Kampf gegen die linke Opposition Leo Trotzkis auf die gesamte kommunistische Bewegung ausdehnen konnte. Sie war aber auch das Opfer einer Politik des Sozialismus in einem Lande, für das eine Internationale – auch wenn sie sich noch so willfährig und loyal erweisen sollte – zu einem Hindernis geworden war. Die Sowjetbürokratie wollte sich ohne die störende Begleitmusik einer Internationale, die immer noch mit Revolution und Umsturz identifiziert wurde, alle Optionen auf eine Verständigung mit der bürgerlichen Demokratie und auf eine Kollaboration mit bürgerlichen Klassenkräften offen halten.

Die 1938 gegründete Vierte Internationale vermochte zwar – gemessen an der Zahl ihrer Anhänger/innen/schaft – niemals an der Kommunistischen Internationale anzuknüpfen. Sie war aber im Angesicht der faschistischen Barbarei und der stalinistischen Liquidation der bolschewistischen Partei in der Lage, an den politischen und programmatischen Positionen der III. Internationale fest- und damit die revolutionäre Kontinuität zumindest für einige Zeit aufrechtzuerhalten. Unsere heutige Aufgabe ist der (Wieder-) Aufbau einer proletarisch-revolutionären Internationale. Wir werden dabei zwar natürlich nicht die Politik der III. Internationale kopieren, aber wir werden an vielen programmatischen Errungenschaften der vor 90 Jahren gegründeten Komintern anknüpfen können.