Russland –– die Party ist vorbei

Zehn Jahre lief in Russland für die Kapitalist/inn/en alles nach Plan. Ein grandioses Wirtschaftswachstum, zweistellige Zuwächse an der Börse und ein steigender Außenhandelsüberschuss untermauerten scheinbar die Überlegenheit des „Systems Putin“. Doch mit dem Übergreifen der Wirtschaftskrise auf Russland scheint auch dort die Party vorbei zu sein. Welche Auswirkungen hat die Krise auf Russland?

Im Dezember 2008 musste die Regierung eingestehen, dass das Land in die Rezession geschlittert war. Damit wurden hochoffiziell die großspurigen Töne korrigiert, dass – wie es noch Anfang September 2008 geheißen hatte – Russland von den Auswirkungen der Finanzkrise verschont bleiben werde. Ja mehr noch: Russland sei in der Lage, seine Rolle in der Weltwirtschaft entscheidend zu stärken, biete sich als „sicherer Hafen“ für globale Investitionen und als weltweit führendes Finanzzentrum an. Die Regierung verkündete, es wäre kein Problem, dem in Bedrängnis geratenen Island mit einem 4-Milliarden-Euro-Kredit beizustehen.

Inzwischen hat Russland die Realität eingeholt. Noch 2008 war der Aktienmarkt eingebrochen und auf das Niveau von 2003 gefallen; allein am 16. und 17. September 2008 verlor der Aktienindex ein Fünftel seines Wertes. Seit Oktober ist die Industrieproduktion rückläufig. Und im Dezember 2008 wurde die Bonität Russlands von der Ratingagentur  Standard & Poor's von BBB+ auf BBB zurückgestuft.

Russland in der Krise

Die Krise hat also auch vor den Toren Russlands nicht Halt gemacht. Allerdings wäre es zu einfach, die Schwierigkeiten der russischen Ökonomie einzig und allein auf die Auswirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise zurückzuführen. Nach Angaben der Weltbank sind es vor allem vier – miteinander verbundene – Probleme, die der russischen Wirtschaft zu schaffen machen und die zu einem Ende des Wirtschaftsbooms beitrugen: Erstens das Versiegen des Kapitalzuflusses – in den letzten Monaten wurde stattdessen Geld aus Russland abgezogen. Zweitens mangelt es den Banken an Liquidität. Drittens wurde die Krise durch die Kreditpolitik russischer Unternehmen, die im Ausland kurzfristige  Kredite aufnahmen, verschärft. Und viertens war der Preis für Rohöl  um fast zwei Drittel gefallen, was den Finanzspielraum des Staates massiv einschränkte.

Kurz- bis mittelfristig war die Regierung zweifellos erfolgreich im Krisenmanagement: Das warnende Beispiel der schweren Krise von 1998/1999 vor Augen und um eine Panik in der Bevölkerung wie vor zehn Jahren zu vermeiden, bemühte sich die Regierung um „vertrauensbildende Maßnahmen“, die allerdings bei einer längeren und sich weiter verschärfenden Krise noch zum Bumerang werden könnten: Einerseits versuchte die Regierung, den Wertverfall des Rubels in geordneten Bahnen zu halten: Zwar verlor der Rubel gegenüber Dollar und Euro im Herbst 2008 etwa ein Viertel seines Wertes – mussten Mitte 2008 für einen Euro 32 Rubel bezahlt werden, waren es im Februar 2009 bereits 47 Rubel. Seither aber konnte sich der Kurs bei 43,3 Rubel (10.6.2009) stabilisieren. Der Preis war allerdings ein hoher: Betrugen die Devisenreserven Mitte 2008 noch knapp 600 Milliarden USD, waren es Januar 2009 bereits 200 Milliarden USD weniger; seither haben sich die Währungsreserven auf etwa 400 Milliarden USD stabilisiert.

Ebenfalls – zumindest kurzfristig – erfolgreich agierte die russische Zentralbank in einer zweiten Frage: Um „schlechte Nachrichten“ gar nicht erst aufkommen zu lassen und Panik-Reaktionen zu vermeiden, wurden ab Herbst 2008 etwa ein Dutzend kleinere und mittlere Banken in aller Stille  in Folge von Staatsinterventionen aufgekauft. Das Muster ist bekannt: Faule Kredite werden sozialisiert und damit der Allgemeinheit umgehängt, die diese Akquisitionen künftig mit Angriffen auf den Lebensstandard bezahlen wird müssen; Gewinne wandern in die Taschen der Oligarch/inn/en. Auch in dieser Angelegenheit erweist sich die russische Regierung als stinknormale Agentur des Kapitals.

Sicher auch im Interesse der KleinanlegerInnen war die Erhöhung der staatlichen Einlagegarantie auf 700.000 Rubel, womit nun 90 Prozent aller Anlagen staatlich abgedeckt sind. Auch in diesem Fall handelte die Regierung nicht aus Liebe zu den kleinen Leuten: Allein im September 2008 wurden 180 Milliarden Rubel von privaten Konten abgehoben, da viele Leute die Turbulenzen der Krise von 1998 nur noch in allzu guter (besser: in allzu schlechter) Erinnerung hatten. Um eine weitergehende Destabilisierung zu vermeiden und im Sinne der Abwälzung der Krisenlasten auf den Staat (und damit in letzter Instanz auf die Allgemeinheit), war die Erhöhung sicherlich auch im Interesse der Banken.

Die russische Regierung zahlt also einen hohen Einsatz: Sollten die Staatsgarantien für Einlagen schlagend werden, kann sich das sehr rasch zu einem veritablen Crash des gesamten Staatsbudgets entwickeln; auch der stille Aufkauf maroder Banken ist kein längerfristiger Beitrag zu einer Sanierung von angeschlagenen Instituten und wird den/die Steuerzahler/in noch teuer zu stehen kommen. Letztlich gilt auch im Falle Russlands: Die Stabilisierung des Landes im Frühjahr 2009 diente der kurzfristigen Beruhigung der Finanzmärkte, der institutionellen Anleger/innen und der kleinen Sparer/innen, findet aber keine Entsprechung in den allgemeinen wirtschaftlichen Daten.

Denn die wirtschaftlichen Kennzahlen haben sich im Frühjahr weiter verschlechtert: So musste Russland wegen Budgetproblemen erstmals seit gut zehn Jahren wieder über einen Milliardenkredit mit der Weltbank verhandeln. Russlands Finanzbedarf könne 2010, so der Leiter der russischen Weltbank-Niederlassung, Klaus Roland, in einem Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti, bis zu 10 Milliarden Dollar (etwa 7 Mrd. Euro) betragen.

Niedriger Rohölpreis

Grund dafür sind in erster Linie die gefallenen Rohstoffpreise für Erdöl, die sich in Russland nicht in erster Linie als Probleme der Förderfirmen, sondern im Staatshaushalt niederschlagen. Russland gehört zu den großen Energieproduzenten: 2007 war Russlands Erdölproduktion für 12,6 Prozent der weltweiten Produktion

verantwortlich (von denen etwa drei Viertel exportiert wurden). Sie lag damit gemeinsam mit der von Saudi-Arabien weltweit an der Spitze. Bei Erdgas nimmt Russland mit 20,6 Prozent der Weltförderung überhaupt Platz 1 ein. Allerdings sinken längerfristig die Exporterlöse: So hat sich der Eigenbedarf an Gas auf 15 Prozent des weltweiten Verbrauchs gesteigert (womit Russland nach den USA mit 22,6 % an zweiter Stelle des Weltverbrauchs liegt). Parallel dazu wird sowohl bei Gas als auch bei Erdöl die Aufrechterhaltung des derzeitigen Produktionsniveaus immer schwieriger: Viele Anlagen sind veraltet, neue Felder in schlecht zugänglichen Gebieten erfordern hohe Anfangsinvestitionen.

Diese Entwicklung ist langfristig sicher mindestens ebenso bedrohlich wie die gesunkenen Preise für Energieträger: Der Sturz des Ölpreises von 140 bis unter 50 USD pro Barrel ist zwar recht dramatisch, allerdings wirkt er sich (noch) nicht im selben Ausmaß auf die Kalkulationen der Fördergesellschaften aus. Denn diese basieren auf einem Preis von 27 USD pro Barrel; der größte Teil des Erlöses, der über dieses Limit hinausgeht, ist an das Finanzministerium abzuführen. Daher ergeben die gegenüber Mitte 2008 gesunkenen Energiepreise Probleme direkt im Staatshaushalt. Dieser wurde für 2009 auf der Basis eines Ölpreises von 70 USD pro Barrel erstellt.

Ein längerfristig niedriger Ölpreis muss sich also stark auf den Staatshaushalt auswirken – die Verhandlungen mit der Weltbank sind ein Indikator für diese budgetären Schwierigkeiten. Sicher hat Russland genügend Rücklagen, um noch einige Zeit schlechter Konjunktur und niedriger Energiepreise zu überstehen, aber für 2010 scheint – bei einer nicht ausgeschlossenen weiteren Verschlechterung oder auch nur bei einem Weiterbestehen der momentanen Rahmenbedingungen – das Ende der Fahnenstange erreicht und eine internationale Kreditaufnahme nötig zu sein. Und die Prognosen sind alles andere als günstig: Ging die russische Regierung Dezember 2008 noch von einem Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent aus – der Internationale Währungsfonds (IWF) sah zur selben Zeit eine wirtschaftliche Stagnation für 2009 vorher –, wurden die Prognosen schrittweise über -0,2% (Januar 2009) und -4,5% (April 2009) auf minus 6 Prozent gesenkt. Ende Mai 2009 wurde die Vorhersage zur Entwicklung des Brutto-Inlandsprodukts (BIP) nochmals revidiert: Nun geht der IWF für 2009 von einem Schrumpfen um 6,5 Prozent aus. Auch 2010 sei eine Stagnation zu erwarten.

Der russische Finanzminister Alexej Kudrin musste bei einem Treffen mit Weltbank-Chef Robert Zoellick in Washington im April 2009 also die Engpässe im russischen Haushalt eingestehen. Russland werde – so Kudrin – auch in den nächsten Jahren Probleme haben, den Haushalt auszugleichen. Zwar verfügt Russland mit derzeit noch knapp 400 Milliarden Dollar über die weltweit drittgrößten Währungsreserven. Allerdings ist ein Großteil des Geldes gebunden oder wird zur Tilgung von Schulden gebraucht. Die Weltbank teilt diese pessimistische Einschätzung, die noch durch einen befürchteten Kapitalabfluss von insgesamt 170 Milliarden USD und Rückgänge bei den Steuereinnahmen – nicht nur im Energiesektor – unterstrichen wird. Selbst von den einstmals gefeierten Oligarchen wie Oleg Deripaska (Rusal), Wladimir Potanin ( Norilsk Nickel), Michail Fridman (Alfa-Gruppe), Wagit Alekperow (Lukoil) und Wiktor Wekselberg (TNK-BP) sind mittlerweile einige in finanzielle Schieflage geraten und wollen Geld vom Staat, statt diesem die bitter benötigten Steuereinnahmen zu bescheren.

Konsequenzen der Krise

Die veränderte Wirtschaftssituation ist inzwischen allerorts zu spüren: Russland hat im Juni 2009 aus Mangel an Sponsor/inn/engeldern das Golfturnier „The Russian Open“ und damit erstmals eine internationale Sportgroßveranstaltung wegen der Weltfinanzkrise abgesagt. Auch bei der Vorbereitung der Olympischen Spiele in der Schwarzmeerstadt Sotschi wird der Rotstift angesetzt: Das Olympia-Budget soll mittlerweile um mindestens 20 Milliarden Rubel (ca. 460 Millionen Euro) gekürzt worden sein.

Politisch wichtiger als das Kürzertreten bei internationalen Sportevents, was im höchsten Fall die internationale Reputation beschädigt, sind die Auswirkungen des stark eingeschränkten finanziellen Spielraums auf außenpolitischer Ebene: International wenig beachtet, hat Weißrussland Ende Mai 2009 einen dramatischen Schwenk angekündigt. Das mit Russland in einer „Union“ verbundene Land war seit dem Zerfall der UdSSR einseitig auf Moskau ausgerichtet gewesen – 2004 kamen 70 Prozent seiner Importe aus Russland, in das auch die Hälfte seiner Ausfuhren gingen. Nun scheint Russland sein engster außenpolitischer Verbündeter zu entgleiten: Denn Weißrussland will sich nicht länger vor Russland „verneigen“. „Wenn es mit Russland nicht geht“, sei dies „kein Grund zu jammern“, wie Staatspräsident Alexander Lukaschenko mitteilen ließ. Es sei nötig, dass das Land „sein Glück in einem anderen Teil der Welt sucht“. Die weißrussische Regierung sieht nun ihre Zukunft in der von der Europäischen Union initiierten (und von Moskau  als  Konkurrenz in seinem eigenen Einflussbereich gesehenen) „Ost-Partnerschaft“. Diese soll Weißrussland und fünf weitere Ex-Sowjetrepubliken näher an die EU „heranführen“, ohne dass damit direkt eine EU-Mitgliedschaftsoption verbunden wäre.

Die Zusammenarbeit mit der EU sei für Weißrussland ein „langfristiger strategischer Kurs“, sagte Lukaschenko am 24.5.2009 bei einem Treffen mit dem slowenischen Außenminister Samuel Zbogar, dem amtierenden Vorsitzenden des Ministerkomitees des Europarats. Dass auch die EU die Ambitionen von Alexander Lukaschenko ernst nimmt und sie zu honorieren versteht, zeigt das plötzliche Verstummen der Beschuldigungen von EU-Seite gegen den „diktatorischen Führungsstil“ des weißrussischen Präsidenten, die „grobe Missachtung grundlegender demokratischer Standards“ und die „Verfolgung von Oppositionsführer/inne/n“.

Gleichzeitig möchte sich Russland hier das Ruder nicht aus der Hand reißen lassen und drängt weiterhin auf eine gemeinsame Zollunion mit Weißrussland und Kasachstan.

Aber trotz aller Verschlechterung der Kennzahlen der Wirtschaft Russlands hat das Land immer noch ein großes Potenzial, um nicht völlig in den Strudel der internationalen kapitalistischen Krise gezogen zu werden und sich zumindest in den kommenden Monaten einen gewissen Spielraum zu bewahren. Inzwischen hat die russische Regierung ihr Krisenprogramm entwickelt. Mit Deficit-Spending soll Geld in die lahmende Wirtschaft gepumpt werden. Das wird allerdings über kurz oder lang Russlands Devisenreserven aufzehren und – wie in allen anderen kapitalistischen Ländern, die Anti-Krisenprogramme entwickelt haben – die Verschuldung drastisch ansteigen lassen. Das ist eine der Konsequenzen der Krise für Russland. Zwei weitere sind als Ergebnis bereits heute auszumachen – erstens ein stark steigender Staatseinfluss auf die Wirtschaft und zweitens eine zunehmende Neigung der Regierung, auf protektionistische Maßnahmen zurückzugreifen.

Staatseinfluss und Protektionismus

Das erste Element, der steigende Einfluss des Staates, ist dabei auf zwei Faktoren zurückzuführen: Zum einen auf einen mehr oder weniger direkten politischen Einfluss, der auf verschiedene Firmen ausgeübt wird. Politisch geht ohne gute Beziehungen zum Kreml in Russland recht wenig – ein persönliches Verhältnis zur Staatsführung war ein zentrales „Argument“, um bei der Privatisierung der 1990er Jahre einen goldenen Schnitt zu machen. Und persönliche Beziehungen sind auch heute entscheidend für die wirtschaftliche Prosperität von Firmen und Firmengruppen. Verlangt wird im Gegenzug politisches Wohlverhalten – der Sturz von Michail Chodorkowskij, der als einstiger „Vorzeigekapitalist“ auch nach politischem Einfluss strebte, Präsident Putin zu gefährlich wurde und seit 2003 wegen Steuerhinterziehung von immerhin 19 Milliarden Euro (!) im Gefängnis sitzt, ist sicher noch in lebhafter Erinnerung.

Zum anderen ist der zunehmende Staatseinfluss das Ergebnis der Wirtschaftspolitik vor allem der letzten beiden Jahre. Mit der Finanzkrise haben sich die Schwierigkeiten bei der Refinanzierung kurzfristiger Kredite, die von Großunternehmen in der letzten Zeit im Zuge von Fusionen und Übernahmen aufgenommen wurden, massiv vergrößert. Kredite wurden vom Staat durch Aktienkontrollpakete besichert, womit über die staatliche Entwicklungsbank „Vnesheconombank“ viele Betriebe faktisch aufgekauft wurden. Maßnahmen wie diese haben den Einfluss des Staates auf die Privatwirtschaft entscheidend verstärkt.

Ein zweites Element ist der zunehmende Protektionismus. In der Tat hat Russland seit Ausbruch der Finanzkrise einige Maßnahmen gesetzt, mit der die Regierung den inländischen Markt schützen, die Nachfrage nach eigener Produktion stabilisieren und damit Steuereinnahmen erhalten möchte. So wurden die Importzölle für ausländische PKWs erhöht, um den Anteil der einheimischen Automobilindustrie am Gesamtverkauf zu steigern. Tatsächlich ist inzwischen die Nachfrage nach im Ausland gefertigten PKWs eingebrochen.

Dass die Regierung auf das Mittel des Protektionismus zurückgreift, ist eine für die Imperialist/inn/en wohl besonders beunruhigende Dimension der russischen Anti-Krisen-Strategie. Die Europäische Union versucht derzeit noch russische Schutzmaßnahmen herunterzuspielen und setzt auf eine möglichst baldige Aufnahme Russlands in die Welthandelsorganisation (WTO). Nach mehr als fünfzehnjährigen Verhandlungen soll Russland noch in diesem Jahr der WTO beitreten, so das Ziel von EU-Handelskommissarin Catherine Ashton Anfang Juni 2009. Damit würde Russland auch den Spielregeln der WTO unterworfen und sich zum Abbau von Handelshemmnissen, der Liberalisierung des internationalen Handels und dem Ziel des Freihandels bekennen müssen, im Gegenzug aber in den Genuss der von der WTO garantierten Handelsvergünstigungen mit den 153 WTO-Mitgliedern kommen.

Auch sonst setzt die EU und insbesondere Deutschland nach wie vor auf eine enge Kooperation mit Russland. Dies gilt nicht nur für den Energiebereich, sondern auch darüber hinaus: So wurde im Rahmen des  ersten World Grain Forum am 6. Juni 2009 in St. Petersburg von Ilse Aigner, der deutschen Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz , mit ihrer russischen Amtskollegin Elena Skrinnik eine strategische Zusammenarbeit für die Agrar- und Ernährungswirtschaft vereinbart.

Russland möchte aber aktuell die Möglichkeiten des Protektionismus nicht aus der Hand geben und hat Mitte Juni angekündigt, der WTO erst nach einer Zollunion mit Weißrussland und Kasachstan kollektiv beizutreten. Das würde den Beitritt um mindestens zwei Jahre verzögern. Hier orientiert sich die russische Regierung eher auf die Stabilisierung bzw. Ausweitung ihrer Einflussgebiete als auf internationale Integration. Dadurch bliebe auch ein größerer Spielraum im Umgang mit den Öl- und Gasexporten und dem Transit nach Europa, durch den Druck auf die EU-Staaten ausgeübt und die eigene Situation verbessert werden kann.

Russland vor neuen Risiken und Chancen

Die Wirtschaftskrise hat also zu einem für 2009 prognostizierten Minus von 6,5 für das russische Brutto-Inlandsprodukt geführt. Das wäre auch für die reichsten imperialistischen Länder keine Kleinigkeit. Insofern hat die Krise Russland also fest im Griff.

Aber andererseits wäre es stark überzogen, Russland unmittelbar am Abgrund oder als Kandidat für einen Staatsbankrott zu sehen. Zweifellos hat die Krise das Potenzial, auch größere Länder in die Knie zu zwingen; aber ein solches Szenario ist – zumindest unmittelbar und für die kommenden Monate – in Russland nicht abzusehen. So darf nicht übersehen werden, dass das Land nach wie vor über große Ressourcen verfügt, um sich in der Krise zu behaupten. Die weltweit drittgrößten Währungsreserven und hohe Goldbestände sind Trümpfe, die Russland auch bereit sein könnte, auszuspielen, um sich international besser zu positionieren.

So ließ am 10. Juni 2009 der stellvertretende Zentralbankchef Alexej Uljukajew aufhorchen, als er offen eine Reduktion des Anteils amerikanischer Staatsanleihen an seinen Währungsreserven in den Raum stellte: „Dieser Anteil wird jetzt fallen, weil sich andere Möglichkeiten auftun“, so Uljukajews kryptisch. Russland werde seine Einlagen bei Geschäftsbanken erhöhen und Anleihen des Internationalen Währungsfonds (IWF) kaufen. Und die Zentralbank hat bereits angekündigt, IWF-Bonds in Höhe von etwa 10 Milliarden Dollar zu erwerben.

Als Konsequenz geriet der Dollar, in dem etwa 30 Prozent der russischen Währungsreserven gehalten werden, gegen eine Reihe anderer Währungen unter Druck – vor allem das britische Pfund, aber auch der Euro reagierten unmittelbar und werteten gegenüber dem Dollar auf. Auch amerikanische Staatsanleihen verloren an Wert. Nachrichten wie diese sind ein schlechtes Signal für die US-Wirtschaft und die Regierung Obama: Sie sind Anzeichen dafür, dass sich internationale Investor/inn/en die Finanzierung des US-Handelsbilanzdefizits in Hinkunft teurer abkaufen lassen und Druck aufbauen könnten.

Russlands Wirtschaft hat also – zumindest kurz- bis mittelfristig – auch Chancen, seine internationale Position durch die Krise zu verbessern.Die Ergebnisse sind dabei allerdings wiedersprüchlich: So hat Russland die triste Energiesituation mehrerer osteuropäischer Länder, allen voran der Ukraine, dazu ausnützen können, die Gaspreise substanziell zu erhöhen. Bis Ende 2008 hatte Russland z.B. an die Ukraine Gas weit unter dem Weltmarktpreis geliefert, und zwar für rund 180 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter. Inzwischen ist es Russland gelungen, mit Drohungen wie Lieferboykott etc. die Preise für Gaslieferungen an die Weltmarktpreise zumindest anzunähern. Für diese ökonomisch durchaus sinnvolle Strategie zahlt Russland allerdings auch einen politischen Preis: Die schrittweise Annäherung an die Weltmarktpreise bzw. die Drohungen mit Liefersperren, die etwa Bulgarien im Frühjahr 2009 einige Wochen in Atem hielten, gehen auf Kosten von Russlands Fähigkeit, internationale Bündnispartner längerfristig an sich binden zu können.

Ein weiteres Beispiel für Russlands Chancen, durch die Krise seine internationale wirtschaftliche Position zu verbessern,könnte nach Abschluss des Geschäfts 35 Prozent an der neuen Adam Opel AG halten, 20 Prozent soll Magna, weitere 35 Prozent General Motos und zehn Prozent die Opel-Beschäftigten erhalten. ist der anvisierte Deal von Magna mit Opel. Die russische Sberbank

Dass die Sberbank ohne Unterstützung des Kreml gehandelt haben könnte, kann ausgeschlossen werden: Sberbank-Chef German Gref war bis 2007 Wirtschaftsminister Russlands, hat in dieser Funktion maßgeblich die Einrichtung des Stabilisierungsfonds für staatliche Einnahmenüberschüsse aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft betrieben und ist bis heute Vorstandsmitglied mehrerer staatlicher russischer Großkonzerne, darunter der Schwergewichte Gazprom und Svyazinvest. Der Einstieg sei eine „sehr gute Chance für Russland“, so Gref, „einen der technologisch fortschrittlichsten europäischen Produzenten zu einem beispiellos niedrigen Preis zu erhalten“. Als Bank sei Sberbank daran interessiert, mit dem Kauf eines derartigen Aktivs die einheimische Autoindustrie umzustrukturieren. Das könnte auch ein entscheidender Hintergrund für die Finanzierung des Deals sein: Über Opel eine eigene Fertigung in Russland aufzuziehen und damit die Abhängigkeit Russlands von Autoimporten weiter zu verringern. Mit Opel wäre dann neben Renault ( AwtoWAZ / Lada), Volkswagen und japanischen Konzernen ein weiterer PKW-Großproduzent in Russland selbst tätig. Opel/Magna könnten auf dem russischen Markt also sowohl die Produktion von Komponenten als auch die Endfertigung von Autos übernehmen, Russland also auch zu einem führenden Standort für die Autozuliefererindustrie machen.

Wirtschaftskrisen bringen es mit sich, dass Vorhersagen besonders schwierig werden. Selbst die hochbezahlten Spezialist/inn/en der nationalen Regierungen oder des IWF sind gerade in letzter Zeit bei Wirtschaftsvorhersagen fast systematisch danebengelegen – die fast monatliche Korrektur der russischen BIP-Daten legt davon beredtes Zeugnis ab. Auch wir maßen uns daher nicht an, über genaue Vorhersagen des Krisenverlaufs und der Auswirkungen auf einzelne Länder zu verfügen. Eines scheint aber sicher zu sein: Die Krise hat nach einem Jahrzehnt des rasanten Aufschwungs Russland im Griff. Sie konfrontiert auch den russischen Kapitalismus mit großen Herausforderungen und gewaltigen Risiken. Sie hat aber auch das Potenzial, seine Position auf den internationalen Märkten erheblich zu stärken.