Venezuela: Chavez unter Zugzwang

Ja: 41,75%, nein: 58,25% – so lautet das Endergebnis des Abwahlreferendums gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez von vergangenen Sonntag. Das venezolanische Volk hat sich somit klar und deutlich gegen den Rückschritt in alte Zeiten und für die Fortsetzung der sogenannten "bolivarianischen Revolution" ausgesprochen.

In den letzten Wochen hatte sich die venezolanische Opposition – dieses Sammelsurium aus UnternehmerInnen, korrupten GewerkschaftsführerInnen, traditionellen Parteibonzen, Rechtsextremen, reichen ExilvenezolanerInnen, rechten Kirchenkreisen und anderen reaktionären Kräften – unter dem Namen "Coordinadora democrátia" neu gesammelt.

Die Vorwürfe der Opposition gegen Chavez waren billig: Er habe das Land heruntergewirtschaftet und tendiere zu einer autoritären Amtsausübung. Wie autoritär muss eine Regierung nicht sein, wenn sie die Verfassung so abändert, dass der Präsident inmitten seiner Amtsperiode abgewählt werden kann? Außerdem, so heißt es von Seiten der Gegenseite, würde er sich die Zustimmung der armen Bevölkerungsschichten mittels Sozialreformen, finanziert durch die Einnahmen aus der Erdölindustrie sichern. Unerhört, dieser Chavez! Wie kann er nur?

Venezuela in den Medien

Durch das Abwahl-Referendum wurde auch das Interesse der westlichen Medien an den Ereignissen in Venezuela wieder ein wenig geweckt. Gewohnt einseitig berichteten deutschsprachige Zeitungen über Chavez und sein politisches Programm. Dabei wurden vor allem die Demonstrationen der "Antichavistas" (welche zahlenmäßig den Pro-Chavez-Demos weit unterlegen sind), der GegnerInnen des Präsidenten, erwähnt und mit schönen Bildern untermalt.

Kein Wort darüber, dass es Chavez selbst war, der durch eine Verfassungsänderung ein solches Referendum erst ermöglicht hatte, kein Wort darüber, dass dieses Referendum durch sehr zweifelhafte Umstände zustande gekommen ist (erst vor kurzen wurde enthüllt, das z.B. eine Person 50 mal (!) gegen Chavez unterschrieben hatte; wir berichteten im MR 28/04). Über den Militärputsch im Jahr 2002 schrieben die Zeitungen so, als wäre dies die normalste Sache der Welt. Der "Kurier" wunderte sich über die "skurrilen Sozialreformen" der venezolanischen Regierung. Skurril ist hier höchstes der bürgerliche "Kurier", wenn er sich über Alphabetisierungskampagnen, die kostenlose Zahnbehandlung in Armenvierteln oder den Bau von Krankenhäusern mokiert.

Gleichermaßen empört wie naiv berichteten die hiesigen Kommentatoren von einem "polarisierten Land" durch welches sich "ein tiefer Riss" zieht. Das ist verständlich: Natürlich wünschen sich die KapitalistInnen und ihre medialen PropagandistInnen nichts mehr als absolute Friedhofsruhe, um ihr wahnwitziges Treiben möglichst ungestört weiterführen zu können. Aber die Klassengegensätze – der auch heute noch gültige Widerspruch zwischen ArbeiterInnenklasse und Kapital – lassen sich nicht "wegwünschen". Es sind die Herrschenden, die mit ihren ständigen Angriffen auf den Lebensstandard der Menschen, einen permanenten Klassenkampf führen – unerheblich, ob sie ihn nun so nennen wollen oder nicht. Als MarxistInnen befürworten wir selbstverständliche eine tiefgreifende Polarisierung der Gesellschaft, denn sie stellt die notwendige Vorstufe einer revolutionären Situation dar.

Beleidigte Opposition

Wie zu erwarten hat die venezolanische Opposition das Ergebnis des Referendums – genauso wie die US-Regierung in Washington – nicht anerkannt und phantasiert von Wahlbetrug. Dabei hatte gerade die Opposition weitreichende Möglichkeiten zur Manipulation des Wahlergebnisses, weil die Stimmenauszählung über ein von der nationalen Telefongesellschaft beherrschtes System erfolgt. Der Hauptaktionär dieser Gesellschaft steht im Lager der Reaktion, die Regierungsanteile sind in der Minderheit. Aber dieses Votum war wohl das mit Abstand transparenteste, welches Venezuela je gesehen hatte. Weder der bürgerliche Ex-US-Präsident Jimmy Carter, Vorsitzender einer Beobachtungskommission, noch zahlreiche anderer internationale WahlbeobachterInnen konnten Unstimmigkeiten fetstellen.

Kein Wunder, dass Enrique Mendoza, oppositioneller Mastermind, jetzt die beleidigte Leberwurst spielt, war doch diese Niederlage – nach dem UnternehmerInnenstreik und dem gescheiterten Putsch 2002 – bereits die dritte in Folge. Und nach jeder dieser Niederlagen kam es zu einer Radikalisierung innerhalb der Bevölkerung. So auch dieses Mal: Mit Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses hat sich die Situation in Venezuela wieder verschärft. In der Hauptstadt Caracas lieferten sich Chavistas und Antichavistas Straßenschlachten, die sogar drei Todesopfer zur Folge hatten. Aber was macht Hugo Chavez? Er bietet der Gegenseite den Dialog an. Dabei sollte doch gerade er nur zu gut wissen, dass mit diesen VerbrecherInnen nicht mehr verhandelt werden kann.

Chavez unter Zugzwang?

Aufgabe der Regierung wäre es jetzt, den Schwung der gewonnen Abstimmung mitzunehmen und den Prozess voranzutreiben. Es steht zu befürchten, dass sie das nicht tun wird. Ganz im Gegenteil: Große Teile der Regierung haben sich bereits ihr "warmes Plätzchen" im System geschaffen und versuchen eine weitere Radikalisierung des Prozesses zu verhindern, um ihre Privilegien nicht zu verlieren.

Als Chavez in seiner Rede nach dem Referendum Ankündigungen zur Zusammenarbeit mit der Opposition machte, schallten Pfiffe aus der Menge. Die radikale Linke Venezuelas und auch viele einfach VenezolanerInnen fordern jetzt eine Vertiefung der bolivarianischen Revolution. Wird der Präsident wirklich "dem Volk geben was dem Volk gehört" (Chavez) und "eine neue Etappe der bolivarianischen Revolution" einleiten? Gehen wir von den Erfahrungen der letzten Jahre aus, so wird er dies nicht tun. Aber letztendlich – und das haben auch viele VenezolanerInnen bereits begriffen – kann Chavez auch nur nach der Pfeife des Volks tanzen. Und es ist leicht möglich, dass diese Pfeife eine revolutionär-sozialistische sein wird …