70 Jahre München Abkommen

Heute vor 70 Jahren bekam Hitler von Italien, Frankreich und Großbritannien das OK für die Annexion der Sudetengebiete. Nach der Besetzung der „Rest-Tschechei“ 1939 und sechs Jahren NS-Germanisierungspolitik folgte die Vertreibung von drei Millionen Deutschen aus der Tschechoslowakei. Während die deutschsprachige Rechte diesbezüglich immer wieder revanchistische Töne anschlägt, reagieren viele Linke mit einer Idealisierung der Beneš-Dekrete. Wir halten diesen Reflex für falsch und kontraproduktiv.

Die Arbeitsgruppe Marxismus (AGM), eine der beiden Vorläuferorganisationen der RSO, publizierte bereits im April 2001 die Broschüre „Die Linke und die Beneš-Dekrete. Ein Beitrag zu einer notwendigen Debatte vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung“.

Angesichts der bevorstehenden EU-Beitritte von Polen, Tschechien, der Slowakei und Slowenien waren von Teilen der Rechten in Deutschland und Österreich antislawische Ressentiments neu aufgekocht und dabei besonders die tschechischen Beneš-Dekrete ins Visier genommen worden. Die AGM stellte sich gegen den antislawischen Revanchismus, lehnte aber eine Verklärung der Dekrete als „progressiven Akt“ ab.

Die Beneš-Dekrete waren letztlich in einer völkischen, nationalistischen Logik gefangen: Bestraft wurden nicht die Faschist/inn/en (und davon wären auf dem Gebiet der CSR dann eben viel mehr Deutsche, Slowak/inn/en und Ungar/inne/n betroffen gewesen als Tschech/inn/en), sondern „die Deutschen“ – darunter auch viele Antifaschist/inn/en und in etlichen Fällen sogar Juden/Jüdinnen, die sich bei der einen oder anderen Volkszählung in der Zwischenkriegszeit als Deutsche hatten eintragen lassen.

Die AGM-Broschüre hatte eine intensive Diskussion ausgelöst. In der Folge publizierte die AGM einen Artikel von Miodrag Jovanovic und Eric Wegner, der vertiefend auf die linke Diskussion um die Beneš-Dekrete einging (und der später als Teil einer zweiten Broschüre herauskam). Diesen Artikel stellen wir angesichts des 70. Jahrestages des Münchner Abkommens erneut zur Diskussion. Und wir verweisen im Anhang auf die beiden erwähnten Broschüren.

 

Beneš-Dekrete – Diskussion  

Geschrieben von Miodrag Jovanovic und Eric Wegner ( 15 February 2002)

 

Unsere Broschüre "Die Linke und die Benes-Dekrete" ist in den letzten Wochen sowohl in Österreich als auch in Deutschland auf großes Interesse gestoßen. Unser Ansatz, diese schwierige Frage von einem Klassenstandpunkt aus anzugehen und völkische Kategorisierungen aufzubrechen, hat uns viele positiv-zustimmende Rückmeldungen gebracht. Andererseits gab es aber auch einige Kritiker, teilweise Leute aus stalinistischer Tradition oder solche, die von den sogenannten "antideutschen Linken" beeinflusst sind. Sie argumentierten im wesentlichen, dass man die Benes-Dekrete nicht kritisieren solle, weil man damit zwangsläufig deutschnationalen Revanchisten in die Hände spiele. Wir halten solche Tabuisierungen für kontraproduktiv. In diesem Diskussionsbeitrag wollen wir noch einmal einige Fragen vertiefend aufgreifen – einerseits, um auf Kritik zu antworten, andererseits, um den Genoss/inn/en, die unsere Position teilen, Argumente in die Hand zu geben.

Eingangs sei dabei noch einmal festgehalten, was unter allen, die sich zur radikalen Linken zählen, wohl Konsens sein dürfte/müsste, dass es nämlich angesichts der aktuellen Diskussion (insbesondere in Österreich) zu den Benes-Dekreten und zum AKW Temelin die zentrale Aufgabe ist, die antitschechische/antislawische Stimmungsmache durch FPÖ, ÖVP-Landeshauptleute und Boulevardmedien aufs Schärfste zu bekämpfen. Dabei ist auch die österreichische Sozialdemokratie massiv zu kritisieren, denn sie hatte nicht nur beim jüngsten FPÖ-"Volksbegehren" ihren Anhängern die Teilnahme "freigestellt". Die SPÖ hatte in den letzten Jahren in den Landtagen von Oberösterreich, Niederösterreich, Salzburg, Kärnten, der Steiermark und Vorarlberg gemeinsam mit FPÖ und ÖVP Resolutionen verabschiedet, die denen gefordert wurde, das Thema der Benes- bzw. AVNOJ-Dekrete in den EU-Beitrittsverhandlungen zur Sprache zu bringen, in denen (in Salzburg 1999) teilweise sogar offen die Aufhebung dieser Dekrete mit der Zustimmung zum EU-Beitritt verbunden wurde.

Die Frage ist nun, WIE solchen antislawisch-revanchistischen Tendenzen in Österreich (oder auch in Deutschland) am besten entgegen getreten werden kann. Wir glauben, dass es alles andere als nützlich ist, die Benes-Dekrete mit Zähnen und Klauen als progressiven oder gar "antifaschistischen" Akt zu verteidigen. Das ist die selbe fatale Logik wie, dass während des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion die Stalin-Führung oder während des Krieges gegen Hitlerdeutschland der Kolonialismus des Westimperialismus nicht kritisiert werden dürfe. Es ist die selbe fatale Logik mit der manche den bürgerlichen Parlamentarismus außer Streit stellen wollen, weil ihn auch die Nazis ablehnen, oder die Politik des israelischen Staates, weil Antisemiten auch daran ihre Hetze aufhängen. Mit dieser Logik landen die Linke und die Arbeiter/innen/bewegung in der Geiselhaft der angeblich "demokratischen" Bourgeoisie – und sie erleichtern so letztlich den Rechten ihr Geschäft.

Jetzt könnte man sagen, OK, die Benes-Dekrete folgten einer nationalistischen Logik, sie bestraften "die Sudetendeutschen" unabhängig von ihrer politischen Gesinnung und nicht die Faschist/inn/en und Kollaborateure (wovon dann eben mehr Deutsche betroffen gewesen wären als Tschech/inn/en), aber angesichts der brutalen NS-Unterdrückungs- und Germanisierungspolitik zwischen 1938 und 1945 sei die tschechische Reaktion verständlich, hätte man von tschechischer Seite nichts anderes erwarten können und müsse man die Benes-Dekrete als legitim ansehen.

Wir denken, dass eine solche Argumentation zu kurz greift. Sicher, VERSTEHEN (im Sinne von rational begreifen) kann man alle möglichen Dinge – sogar den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Und von den bürgerlich-nationalistischen Kräften in Tschechien war auch sicherlich nichts anderes zu erwarten. Das heißt freilich nicht, dass die Politik dieser Kräfte deshalb nicht kritisiert werden kann. Vor allem aber war eine andere Politik von jenen Organisationen zu verlangen, die sich der Arbeiter/innen/bewegung zugehörig fühlten und für die ein Klassenstandpunkt im Vordergrund stehen sollte. Alles andere würde bedeuten, dass kein Entrinnen aus der Spirale von nationalistischem Hass möglich wäre, dass eine nationalistische Barbarei naturnotwendig immer zu Vergeltung auf nationalistischer Grundlage führe müsse. Eine solche präventive Kapitulation lehnen wir ab und glauben, dass insbesondere die damalige Politik der tschechischen Arbeiter/innen/bewegung kritikwürdig ist – zumal ihre Grundüberlegungen ja weiterwirken.

Internationaler Kontext

Die Politik der tschechischen herrschenden Klasse (und es gab in der Tschechoslowakischen Republik eine durchaus relevante Bourgeoisie; die Komintern schätzte die CSR zu Recht als imperialistisches Land ein) muss freilich, sowohl in der Zwischenkriegszeit bis hin zum Münchner Abkommen als auch 1945/46, immer in internationalem Kontext gesehen werden. Die Benes-Dekrete sind nur als Teil der von westlichen Imperialismen und der Sowjetunion vereinbarten Nachkriegsordnung zu verstehen. Diese Nachkriegsordnung beruhte im wesentlichen auf (territorialen) Zugeständnissen des britischen und des US-Imperialismus an die Sowjetunion, deren Führung sich dafür mit Verrat an der griechischen, italienischen, vietnamesischen und chinesischen Revolution bedankte. Maos Truppen mussten in dieser Phase auf militärische Unterstützung aus der Sowjetunion verzichten, die italienischen und v.a. die griechischen Partisanen (die de facto bereits die Macht in Händen hielten) wurden von Moskau zur Abgabe ihrer Waffen genötigt – weil die beiden Länder in Abkommen dem Westen zugesagt waren. In Vietnam beteiligten sich die Stalinisten 1945 überhaupt gleich – gemeinsam mit den westlichen Kolonialtruppen – an der Niederschlagung der Rätebewegung. Dafür konnte die Sowjetbürokratie das Baltikum und Ostpolen (Ergebnisse des Hitler-Stalin-Paktes) und Moldawien behalten und ihren militärischen Einflussbereich auf Ostmitteleuropa und den nordöstlichen Balkan ausdehnen. Teil dieses Deals war auch die "Säuberung" eines nach Westen verschobenen Polen und der Tschechoslowakei von ihrer deutschen Bevölkerung. Dabei ging es kaum um Antifaschismus, sondern um sehr traditionelle Großmachtpolitik – und um die Verhinderung einer revolutionären Welle, wie sie nach dem 1. Weltkrieg das imperialistische System bedroht hatte.

Dass es mit dem "Antifaschismus" der westlichen Alliierten weit weniger weit her war als uns Hollywood und die "antideutsche Linken" das weiß machen wollen, kann an vielen Punkten illustriert werden. Die Befreiung Europas vom Faschismus ist durch den westlichen Imperialismus systematisch verzögert worden. Die USA verfügten spätestens seit 1942 über eine gigantische militärische Überlegenheit und produzierten etwa gleich viel Waffen wie Großbritannien, Deutschland, Japan und die Sowjetunion zusammen. Trotzdem (und trotz nachdrücklichem sowjetischen Ersuchen) hatten die USA und Großbritannien die Invasion in der Normandie immer wieder verschoben. Die westalliierten Truppen standen seit Sommer 1943 in Italien, marschierten aber 1 s Jahre nicht vorwärts. Britische Truppen wurden dann sogar nach Indien und Ägypten verschoben, um dort imperiale Interessen abzusichern, im Dezember 1944 dann auch nach Griechenland, um dort (gemeinsam mit den ehemaligen Nazi-Kollaborateuren) die siegreiche Partisanenbewegung blutig niederzuschlagen.

Der spätere US-Präsident Harry Truman formulierte die US-Strategie in einer internen Besprechung mit aller Deutlichkeit: "Sehen wir, dass Deutschland dabei ist, den Krieg zu gewinnen, dann sollten wir Russland helfen, und wenn Russland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen, und auf diese Weise soviel Menschen wie möglich töten" (zitiert nach Barton J. Bernstein: Confrontation in Eastern Europa). Das war auch die reale Linie der USA im Krieg: Deutschland und die Sowjetunion "ausbluten" lassen und dann mit frischen Kräften abkassieren. Dementsprechend gab es zuerst beschränkte materielle Hilfe für die Sowjetunion (ausreichend, um sie am Krieg beteiligt zu halten) und dann über sogenannte "neutrale" Länder wie Portugal, Spanien, die Türkei oder Schweden die Lieferung von kriegswichtigen Rohstoffen (Petroleum, Wolfram, Chrom, Mangan etc.) durch westliche Firmen an Nazideutschland.

Die bewusste Verzögerung der westlichen Alliierten wurde v.a. für die beiden letzten Kriegsjahre relevant. Das aber war auch die Zeit, in der die Nazi-KZs auf Hochbetrieb arbeiteten. Die noble britische und US-amerikanische Zurückhaltung wird auch in den Opferzahlen deutlich: 6 Millionen europäische Juden ermordet, 21 Millionen Tote in der Sowjetunion (darunter die Hälfte Zivilist/inn/en), Entvölkerung und Verwüstung großer Teile Osteuropas, 2 s Millionen polnische (nichtjüdische) und 1 s Millionen jugoslawische tote Zivilist/inn/en, fast 6 Millionen "slawische" Kriegsgefangene von den Nazis ermordet, aber "nur" 200.000 US-amerikanische und 400.000 britische Kriegsopfer (fast ausschließlich Soldaten).

Bei und nach Kriegsende wurden die Antifa-Komitees, die lokal in etlichen deutschen Städten (und auch in sudentendeutschen Industrieorten in Nordböhmen) von der sich neu formierenden Arbeiter/innen/bewegung gebildet wurden und begannen Verwaltungsaufgaben zu übernehmen, sofort wieder aufgelöst – von den westlichen Besatzungstruppen bzw. in Nordböhmen von den tschechischen Behörden. In Westdeutschland wurden stattdessen diverse Nazifunktionäre (insbesondere Richter etc.) in den Staatsapparat übernommen, galten sie doch im beginnenden Kalten Krieg als verlässlicher als die Aktivist/inn/en der Arbeiter/innen/bewegung. Die Westintegration der BRD wurde schließlich durch ehemalige Funktionäre des Reichswirtschaftsministeriums durchgezogen (Erhard, Emminger, Abs, Herbst).

Die "Entnazifizierung" a la CIA war eine glatte Farce. Es ging darum, "die Deutschen" für den Nationalsozialismus verantwortlich zu machen, den (kapitalistischen) Klassencharakter des Faschismus zu verschleiern, den proletarischen Widerstand und seine Opfer runterzuspielen und damit in Wirklichkeit die Nazi-Funktionäre (die man in den Westzonen nun als solide antikommunistische Partner schätzte) zu entlasten. Wo ein ganzes Volk schuldig ist, verschwimmt die Schuld der (unter 20 Prozent der Bevölkerung ausmachenden) NSDAP-Parteimitlieder, die so bequem sagen konnten "es waren ja damals alle dabei, man hat ja nicht anders gekonnt, es war halt eine schlimme Zeit".

Von Seiten der Sowjetunion wurde, nachdem man kurz zuvor mit dem Hitler-Stalin-Pakt noch die Naziverbrechen gegenüber dem jüdischen und polnischen Volk gedeckt und sogar deutsche Kommunist/inn/en der Gestapo ausgeliefert hatte, die Linie der kollektiven Schuld "der Deutschen" schließlich mitgetragen, weil das zur Legitimierung der territorialen Expansion in Mitteleuropa gelegen kam und weil ja auch bereits zuvor die Verteidigung der Sowjetunion als "großer vaterländischer Krieg" geführt wurde, dabei sehr stark auf – angesichts des rassistischen Vernichtungskrieges von SS und Wehrmacht wirksame – nationalistische Mobilisierungseffekte setzte. Stalin sprach bezüglich des Krieges gegen Japan von einer Revanche für die Niederlage (des zaristischen Russland!) im Jahr 1905. Freilich, die Voraussetzung dafür waren die monströsen Verbrechen der deutschen Besatzungstruppen in Osteuropa. Von einem Arbeiter/innen/staat mit internationalistischem Anspruch wäre aber doch eine andere Politik zu erwarten gewesen, eine, die die marxistische Faschismusanalyse berücksichtigt, die Faschismus als Herrschaftsform einer Kapitalistenklasse und nicht als Charaktereigenschaft eines Volkes begreift.

Sudetendeutsche Frage in der Zwischenkriegszeit

Nur vor diesem internationalen Hintergrund ist die Politik der tschechischen Bourgeoisie und der tschechischen Kommunistischen Partei vor und nach dem Krieg zu begreifen. Die CSR war 1918 explizit und bewusst als Nationalstaat der "Tschechoslowaken" gegründet worden, wodurch die übrige Bevölkerung (Deutsche, Ungarn, Polen) von Anfang an in einen rechtlich niedrigeren Stand versetzt wurde, wobei die Deutschen eine deutlich größere Gruppe stellten als die Slowaken. Die formaldemokratische Fiktion der Gleichberechtigung alles Staatbürger vor dem Gesetz widersprach der realen Dominanz der tschechischen Bourgeoisie (auch gegenüber den Slowaken).

Die gut 3,3 Millionen Menschen umfassende deutsche Minderheit erklärte 1918 die Randgebiete von Böhmen und Mähren, in denen sie über 90 Prozent der Bevölkerung ausmachte, zu "föderierten autonomen Provinzen Österreichs, aufgrund des allgemein anerkannten Selbstbestimmungsrechtes der Völker". Darauf hin schuf die tschechische herrschende Klasse vollendete Tatsachen und ließ die deutschsprachigen Gebiete besetzen. In eine Protestkundgebung der sudentendeutschen Sozialdemokratie wurde hineingeschossen (54 Tote).

Die deutschen Mehrheitsgebiete waren die industriell entwickelsten Gebiete des neuen Staates, weshalb in der deutschen Bevölkerung der Anteil des Proletariats und die Bedeutung der Arbeiter/innen/bewegung überdurchschnittlich groß waren. Die stärkste Partei in der deutschen Bevölkerungsgruppe wurde deshalb die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei (DSAP). Die Arbeiter/innen/parteien (Sozialdemokratie und Kommunist/inn/en) hatten im Sudetenland gemeinsam um die 50 Prozent der Stimmen und damit deutlich mehr als im tschechischen Landesteil. Die sudetendeutsche Sozialdemokratie sah zwar, so wie die anderen deutschen Parteien (Christlich-Soziale, Bund der Landwirte), den Erwerb des deutschen Gebiets als "illegal" an, entschloss sich aber dennoch zur Beteiligung am neuen Staat und forderte ein "Verfassungssystem nach Schweizer Vorbild".

Diese Parteien, wegen ihrer aktiven Teilnahme am politischen System als "Aktivisten" bezeichnet, verfügten bis 1935 über eine etwa 80-prozentige Mehrheit in der deutschen Bevölkerung und versuchten durch konstruktive Mitarbeit, zeitweise sogar in der Regierung, auf innenpolitischem Weg zu einer nationalen Gleichberechtigung zu kommen. Die tschechischen Parteien waren aber, sicher auch in einem nationalistischen Reflex auf die deutsche Vorherrschaft bis 1918, zu keinen Zugeständnissen bereit. Da half die Regierungsbeteiligung von deutschen Parteien nichts, denn über alle wichtige Fragen entschied hinter den Kulissen die sogenannte "Petka" (ein Ausschuss der tschechischen Parteiführer außerhalb der Verfassung). In allen nationalen Belangen war diese Koalition der fünf tschechischen Parteichefs einmütig.

Während also die tschechoslowakische und die sudetendeutsche Sozialdemokratie in allen entscheidenden nationalen Fragen innerhalb der Solidarität ihrer jeweiligen nationalen Gemeinschaften blieben, war die 1921 gegründete Kommunistische Partei (KPs) die einzige Partei in der CSR, die übernational organisiert war und die versuchte, die proletarische Klassensolidarität in den Vordergrund zu stellen – trotzdem war ihre Politik von etlichen Schwankungen gekennzeichnet.

Die sudetendeutschen Kommunist/inn/en hatten ihren Ursprung in der sogenannten "Reichenberger Linken", die innerhalb der österreichisch-ungarischen Sozialdemokratie ganz am linken Rand gestanden waren und durch die das nordböhmische Industriegebiet zu einer Hochburg der linken Kriegsgegner/innen geworden war. In der nationalen Frage standen sie in der Tradition aus Reichenberg stammenden Josef Strasser und seinem Buch "Der Arbeiter und die Nation" und betonten orthodox den Vorrang der Klasse vor der Nation. Unter ihrem Führer Karl Kreibich bekannten sich die sudetendeutschen Kommunist/inn/en zur CSR und erleichterten damit auch ihren tschechischen Parteigenoss/inn/en den Kampf gegen die Unterdrückung des sudetendeutschen Proletariats durch die tschechische Bourgeoisie.

Unter der Führung von Bohumir Smeral wurde dann zwar auch die Umwandlung der CSR in einen Staat gleichberechtigter Nationalitäten (mit Autonomieregelungen etc.) gefordert, trotzdem war die erste Phase der Politik der KPs vom "Tschechoslowakismus" geprägt – was aber dann von Seiten der Komintern zunehmend unter Druck geriet. Ab 1924 wurden in der Folge verstärkt die Rechte der nationalen Minderheiten betont und schließlich die Zerschlagung des "Völkerkerkers" CSR gefordert. Diese Linie wurde von der nun dominanten und von der stalinistischen Komintern-Führung unterstützten Fraktion um Klement Gottwald (trotz seines deutschen Namens ein Tscheche) gegen die Fraktion Smeral/Kreibich durchgesetzt und am Parteitag 1931 auf den Punkt gebracht:

"Gegen die Besetzung des deutschen Teils von Böhmen, der Slowakei, der Karpato-Ukraine und des Teschener Gebietes durch die imperialistische tschechische Bourgeoisie und für deren Räumung von den Organen der tschechischen Okkupationsmacht! Gegen die imperialistischen Friedensverträge von Versailles, Trianon und St. Germain! Für das Selbstbestimmungsrecht der Nationen bis zur Loslösung vom Staat!"

Mit der Machtergreifung Hitlers in Deutschland änderte die Sowjetführung und mit ihr die KPs ab 1934 ihre Position um 180 Grad. Gegen den aggressiven deutschen Faschismus wurde man nun zu einem treuen Verteidiger des Versailler Systems und damit auch der "territorialen Integrität" der CSR. Nichtsdestotrotz forderte die Partei, zB ihr beliebter Führer Jan Sverma, bei Kundgebungen von tschechischen Arbeiter/inne/n die nationale Gleichberechtigung der Deutschen, weil "dies eine der wichtigsten Voraussetzungen zur erfolgreichen Verteidigung der Republik gegen den Faschismus" sei. Die KPs stellte demonstrativ eine Kommission zusammen, die die Lage der Bevölkerung in den Grenzgebieten untersuchte und die die Unterdrückungspolitik gegenüber den Sudetendeutschen anprangerte. Verlangt wurde ein nationaler Ausgleich und eine endlich durchzuführende Hilfe für die sudetendeutschen Notstandsgebiete.

Diese Vorschläge fanden aber bei der tschechischen Bourgeoisie keine Gegenliebe. Die tschechische Hegemonie wurde nicht in Frage gestellt, im Gegenteil wurde seit den 20er Jahren eine verstärkte Politik der Assimilierung der offiziell "verdeutschte Gebiete" genannten sudetendeutschen Regionen betrieben. Diese Gebiete, seit dem Mittelalter deutsch besiedelt, sollten in ihren "urtschechischen Zustand" rückversetzt werden. Obwohl die CSR in der Zwischenkriegszeit ein – im Vergleich zu anderen Ländern – demokratischer Staat war und die deutsche Volksgruppe auch über ein eigenständiges Bildungswesen etc. verfügte, wirkte sich insbesondere das Sprachgesetz von 1926 diskriminierend aus. Beamte im öffentlichen Dienst mussten auch in rein deutschen Gebieten die Kenntnis der tschechischen Sprache in Wort und Schrift nachweisen (umgekehrt mussten Tschechen keine Deutschkenntnisse nachweisen).

Dramatisch wirkte sich schließlich die Weltwirtschaftskrise ab 1929 auf die stark exportorientierte Industrie in den sudetendeutschen Gebieten aus. Bis 1933 sank die Industrieproduktion auf 60 Prozent des Standes von 1929. Die Zahl der Arbeitslosen betrug in der CSR etwa eine Million, zwei Drittel davon waren Deutsche. Während sich die Situation in den tschechischen Gebieten ab 1933 deutlich besserte, gab es in den sudetendeutschen Landesteilen kaum eine Verbesserung. Noch 1936 waren über 500.000 Sudetendeutsche arbeitslos gemeldet. Damit gab es bei ihnen mehr Arbeitslose als unter den etwa 50 Millionen Franzosen und prozentuell waren etwa viermal so viele Sudetendeutsche arbeitslos wie Tschechen. Der Grund dafür war nicht nur die Tatsache, dass die deutschen Gebiete die industrialisierteren und damit mehr betroffen waren, sondern eben auch die Weigerung der Prager Regierung, den Notstandsgebieten die erforderlich Hilfe zu geben oder etwa die deutsche Bevölkerung gemäß ihrer Stärke bei Bahn, Post und anderen Staatsdiensten zu beschäftigen. Das führte schließlich zu immer größerer Verbitterung in der deutschen Bevölkerung und schließlich zur Neustrukturierung des Parteienspektrums.

Die Henlein-Partei und die Zerschlagung der CSR

Die sogenannten "Negativisten", d.h. die politischen Strömungen, die eine Lostrennung vom tschechoslowakischen Staat anstrebten, mussten sich nach 1933 auf behördlichen Druck hin auflösen. Allerdings wurde schnell eine Ersatzlösung gefunden. Konrad Henlein, ein Turnlehrer, der bis dahin politisch nicht in Erscheinung getreten war, gründete die "Sudetendeutsche Heimatfront" (zwei Jahre später in "Sudetendeutsche Partei" SdP umbenannt), eine anfänglich heterogene Strömung, in der sich diverse Deutschnationalen und "Negativisten" neu formierten. Sie war aber nicht von Anfang an eine voll entwickelte faschistische Organisation (mit einer klaren Anti-System-Linie und einer Schlägerpolitik auf der Straße). Ihr Funktionärskern bestand sicherlich von Anfang an aus üblen Reaktionären, von denen etliche vom Nationalsozialismus in Deutschland beeinflusst waren. Nach außen hin präsentierte sie sich aber als Sammelbecken für alle Sudetendeutschen, propagierte, dass all der "Aktivismus", die konstruktive Teilnahme am politischen Leben der CSR, nichts gebracht hätte, dass man in der Notsituation der Krise und der Arbeitslosigkeit das "engherzige Parteiwesen" überwinden und als Volksgruppe geeint und stark ("Heimatfront") auftreten müsse.

Mit dieser Linie erreichte Henlein bei den Wahlen von 1935 einen Erdrutschsieg. Während die "aktivistischen" Parteien plötzlich auf ein knappes Drittel der Stimmen zusammengeschrumpft waren (etwa 15 Prozent für die DSAP, etwa 6 Prozent für die KPs), erzielte die SdP aus dem Stand 68 Prozent der deutschen Stimmen. Daraus allein abzuleiten, dass die große Mehrheit der Sudetendeutschen Faschisten gewesen wären (deren spätere Vertreibung nur zu gerechtfertigt gewesen sei), scheint uns dennoch unzulässig. Der Wahlerfolg der SdP entsprach vielmehr einer allgemein zunehmenden Dominanz national ausgerichteter Formationen in der CSR. So wählte eine große Mehrheit der Slowaken in den 30er Jahren jene nationale Sammlungsbewegung um Andrej Hlinka, aus der schließlich die faschistischen Hlinka-Garden und der slowakische Faschismus von Jozef Tiso und das slowakische NS-Kollaborationsregime hervorging. Deshalb würde wohl niemand "die Slowaken" kollektiv zu Faschisten erklären und ihre Vertreibung fordern.

Die weitere Entwicklung der SHF/SdP war 1933/35 noch nicht so eindeutig. In ihrem Gründungsaufruf, der mit den tschechischen Behörden abgestimmt war, hatte die neue Strömung sogar erklärt, dass sie voll auf dem Boden des Staates stehe. Henlein deklarierte dieses Bekenntnis später gegenüber der NS-Führung in Berlin als Täuschungsmanöver. Dennoch hat es bis 1938 in der SdP neben den auf Nazideutschland eingeschworenen Gruppen auch Kräfte gegeben, die sich auf eine innerstaatliche Lösung, eine Föderierung der böhmischen Länder, orientierten und ursprünglich stand sogar Henlein eher dieser Gruppe, dem sogenannten "Kameradschaftsbund", nahe. Insbesondere der Henlein-Berater Walter Brand galt als Anhänger einer innenpolitischen Lösung. Er versuchte mit britischer Vermittlung einen Kompromiss mit der Prager Regierung zu erzwingen.

Die tschechische Regierung blieb gegenüber den Versuchen eines nationalen Ausgleiches weiterhin unnachgiebig. Auch alle Vorschläge der KPs in diese Richtung wurden abgelehnt. Die tschechischen Staats- und Parteiführer vertrauten darauf, dass die Westmächte die CSR als integralen Bestandteil der Versailler System niemals fallen lassen würden. Dadurch und durch den zunehmenden Druck aus Deutschland setzten sich innerhalb der SdP zunehmend die auf den Nationalsozialismus und auf eine Zerschlagung der CSR orientierten Kräfte durch.

Der erste Versuch Nazideutschland sich der Sudetengebiete zu bemächtigen, scheiterte allerdings noch. Im September 1938 wollte Hitler (ähnlich wie in Österreich im Juli 1934) mit einem Putsch seiner Stoßtrupps und eine vorgetäuschte "spontane Erhebung" vollendete Tatsachen schaffen. Dieser Putsch, unter der Parole "Heim ins Reich!" und vom sogenannten "sudetendeutschen Freikorps" von Berlin aus gestartet, wurde aber von der tschechische Exekutive und besonders auch von sudetendeutschen Antiafaschisten im Keim erstickt. Am wichtigsten aber war, wie sich auch die Naziführung selbst eingestehen musste, dass der Putsch in der sudetendeutschen Bevölkerung keine Massenunterstützung fand.

Nach diesem gescheiterten Putsch unternahmen DSAP und KPs ihre letzte große Offensive gegen die faschistische Gefahr. Die DSAP hatte etwa 80.000 Mitglieder und noch 300.000 Stimmen erhalten, die KPs in deutschen Gebieten etwa 80.000 Stimmen. Auf Wahlebene waren die Arbeiter/innen/parteien damit auf die politisch überzeugten Kerne ihrer Anhängerschaft zusammengeschrumpft. Diese Kräfte versuchten nun aber, noch einmal eine Widerstandsfront aufzubauen. Es gab Kundgebungen in vielen Orten, Aufmärsche der sozialdemokratischen "Republikanischen Wehr" in allen größeren sudetendeutschen Städten. Ihr Gelöbnis endete mit einem Gruß an die tschechoslowakische Armee. Der (freilich sehr klassenunspezifische) Aufruf der DSAP, der durch 250.000 Flugblätter und über Radio verbreitet wurde, klingt fast prophetisch:

"Mitbürger! Es geht um alles! Die Sudetendeutschen stehen vor historischer Entscheidung. Es geht um Leben und Tod unseres Volkes. (…) Wir haben die Möglichkeit in der Hand, auf dem heiß umkämpften Boden Böhmens und Mährens ein Friedenswerk zu vollbringen und damit einen entscheidenden Beitrag zur friedlichen Neuordnung Europas zu leisten. Ein Deutschtum aber, welches wieder die verhängnisvolle Bahn der imperialistischen Gewaltpolitik einschlägt, das Gleichberechtigung ablehnt und nach Vorherrschaft über andere Völker strebt, wird früher oder später in einen blutigen Konflikt mit der aufstrebenden slawischen Welt und mit den jungen Völkern des Südostens verstrickt werden. In einer gewaltsamen Entscheidung wird wieder eine waffenstarrende Welt gegen das deutsche Volk aufstehen. Die Sudetendeutschen werden das erste Schlachtopfer sein. Ihre Heimat würde im Zusammenprall der Weltkräfte vernichtet, ihre Zukunft ausgelöscht. (…) Sudetendeutsche! Ihr alle steht nunmehr vor der Wahl: Gleichberechtigung durch Frieden oder Untergang durch Krieg."

Letztlich hatte die DSAP, auch wenn ihr bis zuletzt anhaltender Widerstand gegen die Nazis gewürdigt werden muss, dem Faschismus zuwenig entgegen zu setzen gehabt. Zu lange war sie im Rahmen der nationalen Solidarität der deutschen "aktivistischen" Parteien verblieben, war mit ihrer reformistischen Regierungspolitik mitverantwortlich für das soziale Desaster in den Sudetengebieten – statt eine proletarische Klassenfront (der deutschen und der tschechischen Arbeiter/innen) gegen die sozialen Folgen der Krise aufzubauen und eine antikapitalistische Perspektive zu entwickeln. Und nun wollte sie für ihren "Friedensblock" das Bündnis mit der Bourgeoisie, der tschechischen und der deutschen, noch enger gestalten. Sie erwartete sich von jenen Kräften Hilfe und Rettung, die, wie die deutsche Bourgeoisie, ihr Heil bereits zu großen Teilen bei Hitler suchte, oder, wie ihr tschechischer Klassenbruder, bereit war zur Kapitulation.

Die tschechoslowakische Regierung weigerte sich zwar noch, die sudetendeutschen Gebiete abzutreten. Die Würfel fielen aber nun nicht mehr in Prag. Im Münchner Abkommen ließen die "Schutzmächte" Frankreich und Großbritannien die CSR fallen und verpflichteten sie darauf, die deutschsprachigen Gebiete Hitler zu überlassen. Die Prager Regierung kapitulierte und gab ihrer hochgerüsteten Armee den Rückzugsbefehl. Mit einem Schlag änderte sich nun die Situation in den Sudetenländern: Aus der nationalen Benachteiligung der Deutschen wurde über Nacht eine der brutalen Unterdrückung der tschechischen Minderheit. Tausende Tschechen mussten nach pogromartigen Ausschreitungen der Nazianhänger ins Landesinnere flüchten.

Sudetendeutscher Widerstand

Beim Einmarsch der deutschen Truppen konnten die Nazis, wenn schon nicht auf die aktive Unterstützung (siehe Putschversuch im September), so doch auf die passive Unterstützung des größeren Teils der Bevölkerung bauen. Neben den erklärten Nazisympathisant/inn/en und der großen Gruppe, die irgendwie auf eine Verbesserung der ökonomischen Lage hoffte, gab es aber unter den Sudetendeutschen auch einen durchaus relevanten Widerstand.

Dieser Widerstand ist meist unterbeleuchtet geblieben – und das ist kein Zufall. Eine seltsame Koalition aus "Vertriebenvertretern" und westalliierten bzw. stalinistischen Geschichtsschreibern hatte dafür gesorgt. Die reaktionären, deutschnationalen und revanchistischen Funktionäre der Sudetendeutschen Landsmannschaften agierten immer mit der ideologischen Konstruktion eines einheitlichen sudetendeutschen Volkes und hatten kein Interesse, den "vaterlandslosen Gesellen" des Widerstandes eine Bedeutung zuzugestehen. Der westlichen Politik ging es um eine kollektive Schuld als Grundlage für eine gerechte Strafe (die Vertreibung). Die stalinistische Geschichtsschreibung, insbesondere in der DDR, bei deren Aufbau übrigens viele sudetendeutsche Kommunist/inn/en ein nicht unwichtige Rolle spielten, sprach immer nur von einzelnen "Solidaritätsakten sudetendeutscher Kommunisten für den tschechischen Widerstand". Dieser Widerstand hätte nicht ausgereicht, weil sich daran "nicht das ganze Volk beteiligt hat" – als wenn das auf irgend ein Land im besetzten Europa zugetroffen hätte. Der DDR ging es hier ganz offensichtlich einfach darum, der Linie der sowjetischen Politik 1945-47 zu entsprechen.

Leopold Grünbaum, Kommunist jüdischer Herkunft im Sudetenland, während des Krieges verantwortlich für den "sudetendeutschen Freiheitssender" in Moskau, 1945 bis 1969 Mitglied der KPÖ, berichtet in dem von ihm herausgegebenen Buch "Sudetendeutsche – Opfer und Täter", dass nach der endgültigen Kapitulation der tschechischen Regierung zehntausende deutsche Antifaschist/inn/en ins Landesinnere Böhmens und Mährens geflohen seien, um von dort aus den Kampf fortzusetzen. Die meisten von ihnen seien aber von den tschechischen Behörden zurückgeschickt und damit dem NS-Terror ausgeliefert worden. Das zeigt auch sehr deutlich, was vom "Antifaschismus" der tschechischen Regierung zu halten war. Freundliche Beschwichtigungsgesten gegenüber dem Hitler-Regime waren ihr wichtiger als die Rettung die meist linken sudetendeutschen Flüchtlinge und ein gemeinsamer Kampf mit ihnen gegen weitere Aggressionen des deutschen Imperialismus.

Trotzdem gelang 7.000 sudetendeutschen Antifaschisten die Flucht – 5.000 von der DSAP, 1.700 von der KPs und 250 Deutschliberale. Außerdem schafften es 30.000 sudetendeutsche Juden in die Emigration, wodurch das sudetendeutsche Exil – laut Grünbaum – gemessen an der Bevölkerungszahl das stärkste in Europa war. Die Aufnahmeländer der Flüchtlinge waren v.a. Großbritannien, Kanada, Skandinavien und die Sowjetunion.

Trotz der beispiellosen Terrorwelle, die nach dem Einmarsch der Wehrmacht einsetzte, ging der Widerstand auch im Sudetenland weiter. Noch im Oktober 1938 dürften etwa 10.000 sudetendeutsche Antifaschisten in Gefängnisse und KZs eingeliefert worden sein, bis Jahresende waren es etwa 20.000. Der Großteil von ihnen waren Mitglieder der DSAP, der KPs und der freien Gewerkschaften. Aber auch der Flügel in der SdP, der sich nicht zum Nationalsozialismus bekannt hatte, wurde nun ausgeschaltet, seine Anhänger verfolgt. Noch 1938 wurden 150 SdP-Funktionäre wegen angeblicher Homosexualität zu mehrjährigen Kerkerstrafen verurteilt. Und auch Walter Brand wurde verhaftet und verbrachte, so wie etliche andere Henlein-Leute, die Zeit bis Kriegsende im KZ Sachsenhausen-Oranienburg.

Jedenfalls entstand schon 1939/40 ein sozialdemokratischer Untergrund, der auf die noch bestehenden Organisationen der DSAP aufbaute. Teilweise waren es wie in Tetschen-Bodenbach, im Böhmerwald und im Egerland selbständige sozialdemokratische Gruppen, teilweise nahmen DSAP-Mitglieder an überparteilichen Kampfgruppen teil. Der kommunistische Widerstand im Sudetenland bestand aus den noch nicht vernichteten Orts- und Betriebszellen in Nord- und Nordwestböhmen, die vom illegalen Zentralkomitee in Prag betreut wurden. Allein im Kreis Reichenberg gab es 1940 etwa 500 organisierte Mitglieder der KPs.

Der Hitler-Stalin-Pakt sorgte freilich auch im Sudetenland für massive Verwirrung in der antifaschistischen Untergrundbewegung. Während sich der bekannte tschechische Parteiführer Vlado Clementis im Londoner Exil gegen diesen Pakt wandte, kursierten im Land Gerüchte, dass nun die KPs – zumindest im "Protektorat Böhmen und Mähren" – bald wieder legal auftreten könnte. Genährt wurde das durch Funksprüche aus Moskau, deren wahnwitzige Verrenkungen Grünwald so zusammenfasste:

"Wir stehen mit dem deutschen Proletariat in einer Front gegen den westlichen Imperialismus als Aggressor. Daher sind wir entschieden gegen die Benes-Regierung in London. (…) unter der Losung des Westens &Mac226;Wiederherstellung der Tschechoslowakei’ verbirgt sich jetzt der Imperialismus und Antisowjetismus."

Diese Linie schuf eine Kluft zwischen der KPs und der DSAP. Im Sudetenland kam es erst allmählich wieder zu gemeinsamen Aktionen, die ab 1942/43 wieder deutlich zunahmen. Dokumentiert sind diese Widerstandsaktionen nicht nur durch die Berichte Überlebender, sondern auch durch die Wochen-Rapporte der drei Gestapo-Leitstellen im Sudetenland (Karlsbad, Reichenberg, Troppau).

Grünbaum berichtete von etwa 185 dokumentierten Widerstandsgruppen, die in den sudetendeutschen Ballungszentren teilweise über ein dichtes Netz von Ortsgruppen verfügten. So arbeitete im Bezirk Karlsbad die Gruppe "Meerwald" mit 15 bis 20 Ortszellen. Sie versorgte russische Kriegsgefangene mit Lebensmitteln, Kleidung und Informationen. 42 Aktivist/inn/en dieser Gruppe wurden verhaftet und teilweise zum Tod verurteilt. Im Bezirk Tetschen-Bodenbach verfügte eine weit verzweigte Widerstandsgruppe über Stützpunkte in 23 Großbetrieben. Im Bezirk Teplitz-Schönau arbeiteten illegale Gruppen der KPs unter verschiedenen Tarnungen.

Die größte und erfolgreichste sudetendeutsche Widerstandsgruppe operierte in Nordböhmen – die Gruppe "Waltro", die viele geflüchtete russische Kriegsgefangene in den Wäldern der Umgebung versorgte und zahlreiche Sabotageaktionen in Rüstungsbetrieben und auf Bahnlinien durchführte. Es gab auch eine Zusammenarbeit mit französischen Kriegsgefangenen. Im Gebiet von Reichenberg hat der Widerstand der dortigen sudetendeutschen Widerstandsgruppen, die gemeinsam mit abgesprungenen sowjetischen Fallschirmjägern im Isergebirge Partisanengruppen aufgebaut haben, die Wehrmacht Ende 1944 gezwungen, eine Sondereinheit zur Partisanenbekämpfung nach Nordböhmen zu senden. Bei den Gefechten sind auch zahlreiche sudetendeutsche Antifaschisten gefallen.

Von Anfang 1944 bis Mai 1945 erreichte der Kampf der sudetendeutschen Antifaschisten seinen Höhepunkt. Es gab zahlreiche Sabotageakte in Kohlebergwerken, Anschläge auf Eisenbahnzüge. Benzinvorräte wurden vernichtet, mit Kriegsmaterial beladene Schiffe in die Elbe versenkt, Fabriken niedergebrannt, Strom- und Telefonleitung zerstört. In etlichen sudetendeutschen Industrieorten beschafften sich die Widerstandsgruppen Waffen und stellten Kampfgruppen auf. Auch unter den sowjetischen Fallschirmspringern waren etliche sudetendeutsche Kommunisten, allerdings waren diese Einsätze oft "Himmelfahrtskommandos" (schlecht ausgerüstet, falsch gekleidet, ohne die notwendigen Ausweise).

Und auch in der deutschen Minderheit in der Slowakei (den sogenannten Karpatendeutschen) gab es einen erheblichen Widerstand, in den ersten Kriegsmonaten insbesondere in Bratislava/Pressburg, einer Stadt mit einer starken deutschen Arbeiterschaft. Vor allem im traditionell antifaschistischen Deutsch-Proben wurde ein Netz von Widerstandsgruppen aufgebaut. Im März 1939 kam es anlässlich der Ausrufung der klerikal-faschistischen "Slowakischen Republik" von Hitlers Gnaden zu einem Überfall der sogenannten Hlinka-Garden (eine Art slowakische SS) auf deutsche Antifaschisten, der zu bewaffneten Auseinandersetzungen führte und mit der Verschleppung von über 100 Karpatendeutschen in KZs endete. Im Zuge des Volksaufstandes im August wurden auch von der deutschen Minderheit in Deutsch-Proben und Krickerhau Partisanengruppen aufgestellt. Die Hauptstadt des Aufstandes war Banska Bystrica/Neusohl, ein Gebiet, in dem die Deutschen auch viele Bergarbeiter stellten. Die slowakischen und deutschen Aufständischen kämpften gemeinsam gegen die Wehrmacht und die slowakischen faschistischen Truppen. Auch nach der Niederlage gab es bei den Partisanen in den Bergen bei Banska Bystrica 308 Deutsche, hauptsächlich Arbeiter.

Im sudetendeutschen Exil war die "Treuegemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten" unter Führung des ehemaligen Vorsitzenden der DSAP Wenzel Jaksch mit mehr als tausend Mitgliedern die stärkste Gruppe. Als politisches Ziel ihres Widerstandes setzte sie, dass die Sudetendeutschen entweder innerhalb der alten Grenzen der CSR eine gleichberechtigte staatstragende Nationalität oder eine autonome Volksgruppe im Rahmen einer mitteleuropäischen Föderation. Nach Kriegsausbruch spaltete sich dann eine Gruppe von etwa 350 Leuten um Josef Zinner, den ehemaligen Vorsitzenden der Bergarbeitergewerkschaft, von der "Treuegemeinschaft" ab. Sie lehnte die Autonomieforderung Jakschs ab und nahm Kurs auf eine Eingliederung der Sudetendeutschen in einen zukünftigen Nationalstaat der Tschechen und Slowaken. Gemeinsam mit dem kommunistischen Exil in Großbritannien, der sogenannten "Beuergruppe", unterstützte sie dann bei Kriegsende die Aussiedlung der Deutschen.

Die Diskussion um die Aussiedlung

Natürlich: Nicht anders als in Österreich oder Deutschland stand trotz allem ein großer Teil der deutschen Bevölkerung zumindest passiv hinter Hitler, solange die Deutsche Wehrmacht zu siegen schien. Das machte den gewaltigen Unterschied zwischen Sudetendeutschen und Tschechen aus, die mit Ausnahme weniger Kollaborateure die Besetzung als nationale Vergewaltigung empfinden mussten.

Der tschechische Widerstand gegen die Nazis war dennoch im Vergleich mit anderen besetzten slawischen Ländern wie Sowjetunion oder Jugoslawien eher gering, was sich auch in den Opferzahlen anlesen lässt. Mit etwa 300.000 werden die (nichtdeutschen Opfer) der NS-Zeit auf dem Gebiet der CSR angegeben. Darunter sind allerdings mehr als 200.000 Juden, von denen sich die große Mehrheit nicht als Tschechen oder Slowaken verstand, von denen sich in der Zwischenkriegszeit der Großteil aufgrund ihrer Deutschsprachigkeit als Deutsche eingeordnet hatte. Unter den 80-90.000 tschechischen und slowakischen Toten sind freilich auch slowakische Faschisten und die Opfer der alliierten Bombenangriffe auf tschechische Rüstungsbetriebe etc. Die tschechische Industrie war nämlich während des Krieges zu einer Waffenschmiede des deutschen Reiches geworden und auch große Teile der tschechischen Bevölkerung hatten sich in die Lage gefügt und widerstandslos ihre Arbeit verrichtet. Die Ausrottung der beiden Dörfer Lidice und Lezaky durch die Nazis war im tschechischen Gebiet nicht die Regel, insgesamt kann nicht von einer Vernichtungspolitik wie in der Sowjetunion gesprochen werden.

Trotzdem hatte der tschechische Widerstand aufgrund der brutalen Germanisierungspolitik der Besatzer natürlich einen größeren Rückhalt in der Bevölkerung als die Aktivitäten der sudetendeutschen Antifaschisten. Denn die deutsche Bourgeoisie verdiente am Krieg nicht schlecht, und bis weit hinein in die Arbeiterklasse wirkte die "ordentliche Beschäftigungspolitik" des Dritten Reiches, zu dem die Sudetenländer nun ja gehörten. Und die "Lösung" der nationalen Frage auf Kosten der tschechischen Nation ließ die zwanzig Jahre einer im Vergleich dazu sanften, aber doch spürbaren Bedrückung, der die Deutschen von 1918 bis 1938 ausgesetzt waren, im milderen Lichte der "ausgleichenden Gerechtigkeit" erscheinen. Nicht wenige Sudetendeutsche waren auch in der Unterdrückung der Tschechen im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren direkt involviert, der faschistische Okkupationsapparat baute nicht zuletzt auf die Mitarbeit der Sudetendeutschen, deren tschechische Sprachkenntnisse eine nicht zu unterschätzende Hilfe darstellten.

Das Gros der deutschen Bevölkerung bildeten jedoch auch unter den Sudetendeutschen Mitläufer, die höchstens betreten beiseite schauten, wenn Angehörige der tschechischen Minderheit ins Reichsprotektorat abgeschoben oder ins KZ geworfen wurden. Aber doch nur das Gros – die gar nicht so kleine aktive Minderheit setzte auch hier Zeichen des aktiven Widerstandes gegen die faschistische Barbarei. Die Begründung der späteren Aussiedlung, dass das "ganze Volk Hitler unterstützt und sich an der grausamen Verfolgung der Tschechen beteiligt hat", lässt sich aber angesichts des sudetendeutschen Widerstand gegen Hitler gerade nicht belegen – im Gegenteil: Der sudetendeutsche Widerstand war nicht nur umfangreicher als der in Deutschland und Österreich, er bestand auch aus deutlich mehr als einigen Solidaritätsakten deutscher Kommunisten für den tschechischen Freiheitskampf. Er hatte eine eigenständige Substanz in der Tradition der sudetendeutschen Arbeiter/innen/bewegung. Das sollte aber nach 1945 kaum zur Kenntnis genommen werden, denn es passte weder in die Pläne des westlichen Imperialismus noch in die der sowjetischen Bürokratie.

Die Pläne der bürgerlichen tschechischen Exilpolitiker um Benes bezüglich der Frage der sudetendeutschen Minderheit waren bis 1941 auf eine Reduzierung der deutschen Bevölkerung bei gleichzeitigem Abtreten von Teilen der deutschsprachigen Gebiete und einem teilweisen Bevölkerungsaustausch ausgerichtet. Der nationalistisch orientierte Widerstand im besetzten "Protektorat Böhmen und Mähren" stellte aber immer mehr die Forderung nach einer Säuberung der Republik von den Deutschen auf, weil sie der gesamten deutschen Bevölkerung die Schuld für die Zerschlagung der CSR gaben. Großbritannien wollte sich aber in dieser Phase die Jaksch-Gruppe weiter warm halten und drängte Benes und Jaksch zu einer Kooperation. Mit dem Nazi-Überfall auf die Sowjetunion begann sich die Lage zu ändern, denn die sowjetische Führung erkannte nun plötzlich die Tschechoslowakei in den Grenzen vor München und Benes als ihren einzigen Vertreter an. Die Westmächte zogen nun nach und Jaksch geriet immer mehr in die Isolation.

Die tschechischen Politiker in London arbeiteten nun an einem Konzept der "Vergeltung für München". Konkret überlegt wurde der Ausbau der Tschechoslowakei als Nationalstaat der Tschechen und Slowaken durch die Liquidierung der nationalen Minderheiten mittels Austausch, Aussiedlung oder Entnationalisierung. War zuerst noch an eine Bestrafung der Funktionäre und Aktivisten der NSDAP durch ihre Aussiedlung gedacht, hatte man um die Jahreswende 1942/43 bereits das Projekt einer Massenaussiedlung, von der mehr als zwei Millionen Deutsche ohne Rücksicht auf ihre Schuld betroffen sein sollten. In dieser Phase erzielte Benes sowohl von sowjetische als auch von westlicher Seite grundsätzliche, aber nicht noch etwas diffuse Zustimmungen zu seinen Plänen.

Gleichzeitig gab es aber auch noch Widerstand gegen diese Linie. Nicht nur das DSAP-Exil um Jaksch wehrte sich gegen diese Entwicklung, auch der linke Flügel der tschechischen Sozialdemokratie stand den Massenaussiedlungsprojekten ablehnend gegenüber, ebenso Jaroslav Stransky, ein führender Politiker des Benes-Kreises. Und auch die KPs setzte noch bis Oktober 1943 auf den sudetendeutschen antifaschistischen Widerstand. Klement Gottwald erklärte zur Kollektivschuldthese:

"Die überwiegende Mehrheit der Anhänger der Sudetendeutschen Partei Henleins dachte in Wirklichkeit an nichts anderes als an eine Besserung ihrer Verhältnisse innerhalb der Tschechoslowakei. (…) Dieser Henlein-Putsch [im September 1938, Anm.], der von Deutschland mit allen Mitteln unterstützt wurde, scheiterte jedoch auf der ganzen Linie, und zwar nicht so sehr am Widerstand des tschechoslowakischen Staatsapparates, als vielmehr deshalb, weil der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung, einschließlich der Anhänger Henleins, dem Aufruf nicht gefolgt ist."

Die Entscheidung, die wieder einmal eine Kehrtwende der KPs zur Folge hatte, fiel schließlich im Dezember 1943, anlässlich eines Besuches von Präsident Benes bei Stalin. Stalin und Molotow sicherten Benes ihre Unterstützung bei der Aussiedlung von allen oder mindestens zwei Millionen Deutschen zu. Stalin erklärte, dass die Minderheiten in Mitteleuropa (die man zwischen 1924 und 1934 noch als revolutionären Hebel gegen das Versailler System hatte benutzen wollen) "liquidiert werden müssen, da sie Quelle ewiger Unruhe und fünfte Kolonne waren."

Mit diesen neuen Vorgaben konfrontiert gab es in der Moskauer Führung der KPs allerdings vorerst noch Differenzen. Zwei Politbüromitglieder, der Tscheche Jan Sverma und der Deutsche Rudolf Appelt, sprachen sich gegen die Aussiedlung der Deutsche aus. Demgegenüber waren der allzeit treue Stalinist Klement Gottwald und der Deutsche Robert Korb dafür, die Sudetendeutschen auf ihr Schicksal vorzubereiten. Nur jene Deutschen, die sichtbare Taten gegen das NS-Regime nachweisen konnten, sollten ihrer Meinung nach im Land bleiben dürfen. Auch dabei sollte es schlussendlich nicht bleiben. Die Stalinisten entwickelten sich aber nun zu Vorkämpfern der Aussiedlung und sollten zu jenen zählen, die sie am leidenschaftlichsten durchsetzten. Von ihren deutschen Funktionären sollte die KPs dann entweder die Auswanderung in die sowjetische Besatzungszone in Deutschland oder ihre Entnationalisierung verlagen. Einfache sudetendeutsche Parteimitglieder hatten dann aber oft nicht einmal diese Möglichkeit.

Befreiung und Vertreibung

Der Befreiung ihrer Heimat von den Nazis, in die die sudetendeutschen Antifaschisten so große Hoffnung gesetzt hatten, folgte bei all jenen, die aus den KZs oder der Emigration zurückkehrten oder aus der Illegalität auftauchten, eine bittere Enttäuschung. Eine von ihnen in Bodenbach gegründete kommunistische Tageszeitung wurde von den neuen tschechoslowakischen Behörden umgehend verboten. Die in ihren Heimatorten vielfach gewählten antifaschistischen Bürgermeister wurden abgesetzt (sogar noch im Februar 1946 wurde beispielsweise der gesamte Antifa-Ausschuss von Teplitz wegen "Verrats an der Republik" verhaftet), die Mehrheit der Antifaschisten wurde nicht anders behandelt als NS-Funktionäre.

Oskar Mieke schilderte nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion in einem schockierten Brief an Leopold Grünbaum, wie in vielen Orten Sozialdemokraten, Kommunisten und andere Antifaschisten inhaftiert wurden, wie "wilde" Aussiedlungen ganzer Ortschaften ohne Unterscheidung zwischen NS-Funktionären und Antifaschisten stattgefunden hatten, wie es zu unterschiedslosen Gewalttätigkeiten kam. Und der Sozialdemokrat Alois Ullmann berichtet, ebenfalls in einem Brief an Grünbaum, vom Blutbad in Aussig, wo im Juli 1945 Soldaten der nationalistischen "Svoboda-Garden" gemeinsam mit Zivilisten aus dem Landesinneren Böhmens an einem Tag mindestens 400 Männer, Frauen und Kinder ohne Rücksicht auf ihre politische Gesinnung erschlugen, erschossen oder in der Elbe ertränkten.

Die tschechischen KPs-Mitglieder aus der Vorkriegszeit versuchten meist vergeblich, sich ihrer deutschen Genoss/inn/en anzunehmen. Tauende deutsche Antifaschist/inn/en fanden sich gemeinsam mit den ehemaligen Nazi-Funktionären in Lagern wieder. Nur teilweise gelang es tschechische Antifaschist/inn/en sie nach langwierigen Interventionen bei den Behörden wieder heraus zu bekommen. Das war auch nur dort möglich, wo im Widerstand Kontakt existierte oder wenn man sich vorher aus der KPs gekannt hatte. Für viele Antifaschist/inn/en, insbesondere aus dem Bereich der DSAP und der sudetendeutschen freien Gewerkschaften war es unmöglich, "ihre Taten gegen das NS-Regime nachzuweisen".

Dabei war von Benes und Gottwald von vornherein festgelegt worden, dass die Zahl der "Antifa-Bescheinigungen" für Deutsche und Ungarn die Zahl von insgesamt 200.000 nicht übersteigt. Und selbst eine solche Bescheinigung reichte zwar dann oft für eine Freilassung aus einer Inhaftierung, schützte aber nicht notwendigerweise vor der Aussiedlung. Denn dazu brauchte es auch den Nachweis, dass man für die "Wiederherstellung der CSR" gekämpft hatte, was bei KPs-Mitgliedern (da die Parteilinie der letzten Jahre ausschlaggebend war) funktionierte, was für sozialdemokratische Widerstandskämpfer/innen aber nahezu unmöglich war. Es gab außerdem eine ganze Reihe von Juden (durchaus nicht Einzelfälle), die nach der Befreiung nun wieder inhaftiert oder irgendwo festgehalten wurden. Die meisten von ihnen hatten sich wie gesagt bei den Volkszählungen der Zwischenkriegszeit als Deutsche registrieren lassen und das wurde nun oft zum entscheidenden Kriterium.

Bei der Aussiedlung/Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihren Siedlungsgebieten kann grob in zwei Phasen unterschieden werden. Von Kriegsende bis Sommer 1945 fanden die sogenannten "wilden" Vertreibungen statt, bei denen es zu den willkürlichen meisten Gewalttätigkeiten kam. Von Sommer 1945 bis Oktober 1946 gingen dann die organisierten Vertreibungen über die Bühne, wo von restrukturierten Behörden durchgeführt die deutsche Bevölkerung in Eisenbahnzügen Schritt für Schritt über die Grenzen transportiert wurde. Die Benes-Dekrete legalisierten also nicht lediglich einen status quo, also die bereits stattgefundenen "wilden" Vertreibungen, sondern sie waren auch die gesetzliche Grundlage dieser zweiten planmäßigen Aussiedlungsaktionen. Insgesamt wurden bis Oktober 1946, wo Innenminister Vaclav Nosek die Aussiedlungen offiziell für beendet erklärte, 2.916.000 Sudetendeutsche vertrieben. Unter den zurückgebliebenen waren im wesentlichen vier Gruppen: erstens Mitglieder der KPs, die sich nun als Tschechen bekannten; zweitens Deutsche, die mit Tschech/inn/en verheiratet waren und die sich nun ebenfalls als Tschechen bekannten; drittens deutsche Facharbeiter, die man unbedingt brauchte und die "entnationalisierungswillig" waren, um bleiben zu können; Facharbeiter, die zur Zwangsarbeit und damit zu (zumindest vorläufigen) Verbleiben gezwungen waren.

Besonders bis ins Jahr 1947 aber auch darüber hinaus gab es deshalb noch eine weitere Auswanderung, sodass insgesamt von etwa 3,1 Millionen Vertriebenen gesprochen werden kann, darunter auch Hunderttausende Aktivist/inn/en und Anhänger/inn/en der sudetendeutschen Arbeiter/innen/parteien. Etwa 2,2 Millionen der Ausgesiedelten gingen in die spätere BRD (vorwiegend nach Bayern und Hessen), 670.000 in die spätere DDR, 120.000 nach Österreich. Die Vertriebenenverbände schätzten die Zahl der Sudetendeutschen, die bei den Vertreibungen ums Leben gekommen sind, auf über 200.000 und teilweise sogar auf über 250.000. Dabei handelt es sich um eine unhaltbare Übertreibung. Eine deutsch-tschechische Historikerkommission kam 1994 auf eine Zahl von 40.000. Und selbst wenn man noch einräumen mag, dass darin nicht all diejenigen, die zB in einem Lager an der Ruhr gestorben waren, erfasst sind, wird die Zahl der Toten jedenfalls deutlich unter 100.000 liegen.

Bilanz

Die politischen Folgen der Vertreibungen waren fatal. Die Verbrechen der Faschisten verschwammen in der dem ganzen Volks zugeschriebenen Schuld. Die Kollektivstrafe hatte die Konsequenz, zwischen Opfern und Tätern, zwischen Führern und Mitläufern eine falsche Einheit herzustellen. Dass mit der Politik der Benes-Dekrete alle Deutschen gleich behandelt worden sind, war Wasser auf die Mühlen derjenigen, die vom "ewigen Volkstumskampf redeten", und in ein Schlag ins Gesicht all jener, die Klassensolidarität über nationale Solidarität stellen wollten. In den Lagern wurde ihnen eingetrichtert – von der tschechischen Bewachungsmannschaft ebenso wie von den ebenfalls eingesperrten Deutschnationalen –, dass Deutscher eben Deutscher sein. Die (Ex-) Nazis und diverse Rechte konnten zynisch sagen, "da seht ihr, wo euch euer Klassenkampf hingebracht hat; Nation ist letztlich eben doch immer stärker". Die sudetendeutscher Arbeiter/innen wurden in die nationale Einheitlichkeit, in die Solidarität mit ihren Henkern zurückgestoßen. Diese bürgerlich-nationalistische Politik wurde von den Stalinist/inn/en mitgetragen.

Kritik daran kam schon 1945/46 vor allem vom linken Teil der internationalen Arbeiter/innen/bewegung. Während die stalinistischen Parteien und die sozialdemokratischen Führungen die von Westalliierten, Sowjetunion und tschechischen Nationalisten festgelegte Linie unterstützten, wandte sich die linken Flügel der britischen Labour Party und der skandinavischen Sozialdemokratie gegen die Vertreibungen ohne Rücksicht auf Klasse und politische Gesinnung. Ablehnung der Benes/Gottwald-Politik kam auch von der britischen linksreformistischen "Independent Labour Party" und von oppositionellen Kommunist/inn/en, nicht nur von der trotzkistischen 4. Internationale, sondern auch von den sogenannten "Brandlerianern" und anderen.

Wie hätte nun eine proletarische, wirklich kommunistische Politik in der Tschechoslowakei bei Kriegsende aussehen müssen? Es hätte die Grenze nicht zwischen Völkern gezogen werden dürfen, sondern zwischen den Nazi-Funktionären, den unverbesserlichen Faschisten und denen, die sich an Verbrechen beteiligt hatten, auf der einen Seite und der Mehrheit der Lohnabhängigen. Die ersteren hätten entsprechend bestraft werden müssen (von Hinrichtungen bis zu Zwangsarbeit), unabhängig von ihrer nationalen Zugehörigkeit – davon wären dann eben mehr Deutsche, Slowaken und Ungarn betroffen gewesen als Tschechen oder Polen. Um die Herzen und Hirne der zweiten Gruppe aber hätten man den Kampf aufnehmen müssen. Statt Opfer und Täter, Führer und Mitläufer zusammen zu schweißen, hätte es gerade um Differenzierung gehen müssen, um so jeden nationalen Schulterschluss aufzubrechen.

Es mag verständlich sein, dass viele Tschech/inn/en angesichts der Verbrechen der Nazis, an denen viele Sudetendeutsche beteiligt waren, für die nationalistische Revanche von Benes und Co. offen waren und die Vertreibungen unterstützten. Von Strömungen der Arbeiter/innen/bewegung ist aber anderes zu verlangen als völkische Verbrechen mit völkischen Vergeltungen zu beantworten. Insbesondere eine kommunistische Partei müsste hier eine Avantgarderolle spiele und für das Prinzip "Klasse vor Nation" kämpfen.

Aber bedeutet eine solche Kritik an den Benes-Dekreten und der Vertreibung der Sudetendeutschen nicht in der Konsequenz, dass wir die revanchistischen Forderungen der Vertriebenenverbände unterstützen müssten? Nein, nicht im geringsten! Auch wenn wir Enteignungen auf nationalistischer Grundlage prinzipiell ablehnen, so hat doch die deutsche (und auch die sudetendeutsche) Bourgeoisie als Klasse die Verantwortung für den Nationalsozialismus zu tragen, weshalb ein Rückgabe von Produktionsmittel, Grundbesitz, Immobilien etc. – und das ist ja das, was für die meist bürgerlichen "Vertriebenenvertreter" das interessante ist – für Linke überhaupt nicht zur Diskussion stehen kann. Auch deshalb nicht, weil das heute im Rahmen einer imperialistischen Ostexpansion des deutschen und EU-Kapitals zu sehen ist.

Und selbst die Rückgabe von Wohnungen oder kleinen Grundstücken an solche Sudetendeutsche, die definitiv keine Nazis waren und sich nichts zu schulden kommen haben lassen, könnte im Rahmen des Kapitalismus nur durch neues, sehr konkretes Unrecht gegen die Millionen Lohnabhängige, die mittlerweile seit Jahrzehnten in den ehemaligen Sudetengebieten leben, durchgesetzt werden. Gleiches gilt für finanzielle staatliche Entschädigungen, die durch Massensteuern der tschechischen Lohnabhängigen aufgebracht würden. Wenn sich freilich unter den Vertriebenen tatsächlich einzelne finden sollten, die definitiv keine Nazis oder Kapitalist/inn/en waren und die sich nichts zu schulden kommen haben lassen, die ihre letzten Lebensjahre in ihrem Herkunftsort verbringen wollen, spricht da auch nichts dagegen – zumal wir generell offene Grenzen und das Recht der weltweiten freien Wahl des Wohnortes für alle Menschen fordern.

Angesichts der heutige politischen Diskussion, die von der österreichischen (und deutschen) Rechten offensiv geführt wird, macht es unserer Erachtens keinen Sinn und ist vielmehr kontraproduktiv, die Benes-Dekrete als antifaschistischen Akt zu verklären. Das waren diese Dekrete nicht und sich daran festzuklammern, eröffnet nur den Rechten ein Propagandafeld für ihren Revanchismus und für ihre Relativierung der NS-Verbrechen. Unsere Antwort sollte vielmehr so aussehen: Wir lehnen die Benes-Dekrete als falsche, weil nationalistische, Antwort auf die Nazi-Barbarei ab. Stattdessen sind wir für viel härte Konsequenzen für ehemalige Nazis und Arisierungsprofiteure a la Jörg Haider. Die deutsche/österreichische Rechte ist dabei nicht nur verantwortlich für den Massenmord an den Juden und Slawen, sondern schufen durch ihre völkischen Verbrechen letztlich auch die Grundlage für die kollektive Vertreibung der Sudetendeutschen. Ihre revanchistischen Ansprüche sind zurückzuweisen. Zentral ist für uns heute der Kampf gegen die antitschechische (und antislowenische) Stimmungsmache! 

 

Die Linke und die Beneš-Dekrete. Ein Beitrag zu einer notwendigen Debatte vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung.

Nr. 7 (April 2001), 40 Seiten, 2 Euro (plus Porto)

 

Nationale Frage und Arbeiter/innen/bewegung in der Tschechoslowakei Linke Diskussion um die Beneš-Dekrete – Positionsentwicklungen der KPČ zur nationalen Frage

Nr. 10 (Februar 2002), 56 Seiten, 2,50 Euro (plus Porto) 

Bestellungen an: bestellungen@sozialismus.net